08.07.2021

Heerbruggerin findet nach Jahrzehnten ihren Bruder in den USA

Gail Schauwecker lernt mit 58 Jahren ihren Bruder kennen. Es ist ein berührendes Kapitel ihrer Familiengeschichte.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
«Hello dear, dear brother. Can you believe this?» –  Hallo lieber Bruder. Kannst du das glauben? Mit diesen Worten meldete sich Gail Schauwecker aus Heerbrugg vor wenigen Wochen per Facebook Messenger bei ihrem älteren Bruder Robert, den sie noch nie gesehen hat. Er lebt in den USA und feierte kürzlich seinen 60. Geburtstag. Dass er und Gail sich über verschlungene Wege gefunden haben, bezeichnet er als schönstes Geschenk. Robert wurde als Kleinkind adoptiert und wuchs im US-Bundesstaat Connecticut auf. Gail verbrachte ihre Kindheit und Jugend mehrheitlich in einer Pflegefamilie in England und folgte vor 32 Jahren ihrem zukünftigen Mann Heinz Schauwecker, den sie während einer Reise in Oregon, USA, kennengelernt hatte, in die Schweiz. Dass sie einen Bruder – Bobby – hat, wusste sie, doch es gab keine Verbindung zu ihm.Früh getrennt, weil Behörden Druck machtenGail Schauwecker sitzt am Esstisch und hat Fotos aus ihrer Kindheit und einen Notizblock mit Namen vor sich ausgebreitet. Ihre Mutter Margareth Monaghan war Irin, geboren 1930 in Dublin. 1958 kam sie nach Amerika und brachte 1961 Robert zur Welt. Sie befand sich in schwierigen Umständen, war nicht verheiratet und kämpfte mit psychischen Problemen. Die Behörden von Connecticut machten Druck und wollten sie wieder in ihre Heimat zurückschicken. Aufgrund ihrer Depressionen war sie nicht in der Lage, für ihr Kind zu sorgen. Als Gail zur Welt kam, nur 15 Monate nach Robert, hatten die Behörden bereits vorgesehen, dass Robert in den USA bleiben sollte. Die Mutter musste ihren Sohn zurücklassen und kehrte mit der wenige Wochen alten Gail im Herbst 1962 nach Irland zurück. Robert wurde 1965 adoptiert und wuchs als Roberto Frattaroli bei einer gut situierten Familie auf. Bereits als Zehnjähriger wusste er, dass er ein Adoptivkind ist, sonst war ihm aber nichts bekannt über seine familiäre Vergangenheit. Nicht mal seinen ursprünglichen Namen kannte er. Vor sechs Jahren ermutigte ihn seine Tochter, mehr über seine leibliche Familie herauszufinden. Er kümmerte sich um seine Adoptionspapiere, die belegten, dass er eine Schwester hat. Doch diese Info allein führte noch nicht zum Kontakt.Ein DNA-Test legte die Spur in die SchweizMittlerweile gab es aber auch im Rheintal Anstrengungen, die Familiengeschichte von Gail aufzurollen. Tochter Jessica Marxer liess vor etwa zwei Jahren einen DNA-Test über die Genealogieplattform MyHeritage machen. Nutzer der Plattform können Ahnentafeln erstellen, Fotos hochladen oder auch Profile durchsuchen. Die Technologie der Plattform vergleicht DNA-Daten und identifiziert gemeinsame genetische Sequenzen.Im Juni erhielt Jessica unerwartet die Nachricht einer Frau, mit der Frage, ob sie Angehörige in Dublin habe. Ja, antwortete Jessica und machte sich mit ihrer Mutter daran, herauszufinden, um welche Ecken sie mit dieser Frau, Rachael, verwandt sein könnten. Eine aufwendige Arbeit. Rachael konnte die Suche abkürzen. Nachdem die Namen der Urgrosseltern und Grosseltern geklärt worden waren, folgerte sie exakt: «Dann muss Gail Margareths Tochter sein.» Selber ist sie eine Cousine dritten Grades zu Robert und Gail. Nun fügten sich die fehlenden Puzzleteile der Familie Monaghan zusammen. Rachael wusste dank ihres Interesses am Stammbaum und wegen des Kontakts zu Roberts Tochter, dass ein adoptierter Verwandter Gail sucht. Jessica war überwältigt. Sie rief ihre Mutter an: «Ich habe Robert gefunden!» In den USA erhielt Robert von seiner Tochter Christina die freudige Nachricht, dass Gail gefunden wurde. Robert liess seinen Gefühlen freien Lauf und war kurz darauf per Facebook mit Gail verbunden. Sie haben mittlerweile mehrmals miteinander gesprochen und stellten sich auch unbequemen Fragen. Warum die Mutter ihren kleinen Sohn zurückliess. «Jede Mutter will immer nur das Beste für ihr Kind. Auch wenn es bedeutet, dass es das Beste ist, das Kind zurückzulassen», ist Gail überzeugt. Der Vater, ein verheirateter Mann, war ihnen nicht bekannt, er kümmerte sich nicht um seine ausserehelichen Kinder. Die Mutter beging Suizid, nachdem sie in England zwei weitere Töchter zur Welt gebracht und nach Stabilität in ihrem Leben gesucht hatte, die sie nicht finden konnte. Über allem aber steht nun die Freude der Geschwister, ein nahes, wichtiges Familienmitglied im Leben zu haben. Besuch im Rheintal angekündigt«Es war sehr emotional.» Gail Schauwecker sagt es mit einem Lachen, doch Jessica Marxer erlebte ihre Mutter noch nie so aufgelöst wie nach der Nachricht über den gefundenen Bruder. «Es war gut, dass alles aufgearbeitet werden konnte.» Und sie sind fasziniert, wie ein DNA-Test und die entfernte Verwandte Rachael in England die Zusammenführung beeinflussen konnten, mit dem Draht zu Jessica, die im Fürstentum Liechtenstein wohnt, weiter zu Gail in die Schweiz und schliesslich in die USA zu Robert. Bald möchte er ins Rheintal zu Besuch kommen. Gemeinsam wolle man auch nach England reisen, wo die zwei Halbschwestern Donna und Linda leben und zu denen Gail Schauwecker stets Kontakt pflegte. «In meinem Leben hat jemand gefehlt», sagt Robert Frattaroli, Bruder von Gail Schauwecker. (Bild: pd)

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