12.08.2021

Handarbeit kann effizient sein

Eveline Dudda, diplomierte Agraringenieurin, sieht im Microfarming eine interessante Zukunftsperspektive.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
«Gemüsebau ist für mich die Königsdisziplin der Landwirtschaft», sagt Eveline Dudda, die in Hinterforst lebt. Mit bis zu vier Erntezyklen im Jahr sei das  Ganze sehr dynamisch, auch unterschiedlich personalintensiv. Viele und immer wieder neue Produkte bedingen ein vertieftes Wissen. Sogar dasselbe Gemüse, in einer Sommer- oder Winterkultur angebaut, muss verschieden gehandhabt werden. Die hohe Innovation verlangt zusätzliche Flexibilität. «Dazu ist der Gemüsebauer näher am Markt als andere Sparten. Von 200000 Franken Umsatz, die so ein Betrieb erwirtschaftet, stammen oft nur 2000 Franken von den Direktzahlungen», erklärt Dudda, die auch als Fachjournalistin arbeitet. Gemüsebauer unter der Fuchtel der GrosskonzerneZusätzlich erschwerend sei das Duopol von Migros und Coop, von denen grosse Gemüsebetriebe abhängig seien. «Diese beiden Grosskonzerne setzen Druck auf, bestimmen die Preise und stellen Forderungen, die fast nicht einhaltbar sind», sagt Dudda. Ihr seien diesbezüglich unglaubliche Geschichten erzählt worden, journalistisch verwertbar sei das kaum gewesen, weil die Bauern auf ihre Abnehmer angewiesen seien und deshalb nicht öffentlich Stellung nehmen könnten. «Grundsätzlich geht es immer um dieselben drei Dinge, die sich eigentlich von vornherein ausschliessen: Die Ware sollte zu einem immer tieferen Preis geliefert werden, nicht nur makellos, sondern auch noch nach genauen Vorgaben aussehen und dazu möglichst biologisch gezüchtet werden», sagt Eveline Dudda und meint weiter: «Ideale Bedingungen, um die Produzenten ins Burn-out oder in den Bankrott zu treiben.» Sie bewundere jeden Gemüsebauer der in diesem Umfeld bestehe. Jedermanns Sache sei das sicher nicht. Da seien stahlharte Nerven und Managereigenschaften gefragt. Ein Aspekt ist, dass Gemüsebau personalintensiv ist, mit hohen Spitzen, die mit fremdländischen Erntehelfern abgedeckt werden. Auch diesbezüglich sind die Anforderungen höher geworden, nicht nur was den Lohn, sondern auch was die Unterbringung anbelangt. Höhere Wertschöpfung durch DirektverkaufEine Möglichkeit, den Grosshandel zu umgehen, besteht darin, sich auf eine breitere Produktepalette zu spezialisieren und mit Direktverkauf eine höhere Wertschöpfung zu erreichen. Beispielsweise Produkte über Bioläden, einen Hofladen oder einen Marktstand abzusetzen. Das ist aber wiederum zeitaufwendig und es muss viel ins Marketing und die Kundenpflege investiert werden. Dudda sieht in diesem Bereich aber beschränktes Potenzial: «Gerade in ländlichen Gegenden wie dem Rheintal, wo noch viele Leute selber einen Garten haben, werden sie nicht mehr als fünf bis zehn Prozent der Konsumenten gewinnen können.»Microfarming bietet viele VorteileAls eine Möglichkeit mit interessanten Zukunftsperspektiven sieht Eveline Dudda Microfarming: «Diese Art von Gemüsebau funktioniert mit weniger als einem Hektar Land und eignet sich deshalb, um kleinere Flächen zu bewirtschaften, wie etwa Baulandreserven in Wohn- und Industriegebieten, die für eine maschinelle Nutzung nicht interessant sind.» Von Kanada ausgehend wird es in den USA, aber auch Frankreich, Deutschland und Österreich zunehmend praktiziert. So kann in relativ kleinen Beeten ohne viel teure und technische Hilfsmittel saisonal und biologisch angebautes Gemüse in Handarbeit produziert werden. Wer sich dann noch auf ein paar wenige Abnehmer begrenzt und beispielsweise die Küche eines Spitals, einer öffentlichen Verwaltung oder – wie Dudda in Altstätten – das Personalrestaurant einer grösseren Firma beliefert, kann das für beide Seiten ein Gewinn sein. Das bedingt allerdings, dass eng mit der Küche zusammengearbeitet wird und diese flexibel ist, was die Auswahl an Gemüse anbelangt – und auf die Wachstumszyklen, respektive die Wetterbedingungen Rücksicht nimmt.Die Frische – innert Stunden ist das Gemüse vom Garten auf dem Tisch – ist ein weiterer Vorteil. Und die Ware muss nicht genormt sein. «Einem Gurkensalat sieht man nicht an, ob die Gurke krumm, gross oder klein gewachsen ist. Dadurch gibt es kaum Abfall», sagt Eveline Dudda, die in ihrem Spriessbürgerverlag schon mehrere preisgekrönte Gartenbücher herausgebracht hat. Die Beete können dichter oder sogar mit mehreren Gemüsesorten bebaut werden, was auf der gleichen Fläche einen höheren Ertrag ergibt. Maschinell ist das nicht möglich. Beispielsweise Karotten können fortlaufend ausgedünnt werden und die ganz jungen, kleinen von den Köchen gleich mit dem Kraut als Beilage angerichtet werden. Auf die stetig extremeren Wetterbedingungen aufgrund der Klimaveränderung kann flexibel reagiert werden. Dudda erklärt das anhand von subtropischen Meterbohnen, die besser mit heissen und trockenen Phasen umgehen können als die heimischen Busch- und Stangenbohnen, denen nasse und kühlere Perioden dafür nichts ausmachen. So kann der Ertrag in Balance gehalten werden. Auch neue oder althergebrachte Produkte können unkompliziert ins Sortiment aufgenommen werden, die für die maschinelle Massenproduktion nicht interessant sind. Zudem kann bei jedem Wetter in den Beeten gearbeitet werden. Das ist mit schweren Maschinen nicht immer möglich, beispielsweise bei sehr nassen Bedingungen verdichten sie den Boden und das Ackerland könnte für eine lange Zeit beschädigt bleiben. «Man glaubt gar nicht, wie viele Vorteile Handarbeit bringt. Ich bin überzeugt, dass dies in Zukunft noch zunehmen wird, weil graue Energie, also die benötigte Energie für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung ein zunehmend grösserer und entscheidender Kostenfaktor wird», sagt Eveline Dudda. Ein Leuchtturm-Projekt daraus machenAktuell betreibt Eveline Dudda mit einer Gehilfin in einem 150-Prozent-Pensum im Altstätter Industriegebiet auf rund einer Hektare Microfarming. Wobei die 200 Beete, von je einem Meter Breite und acht Metern Länge ca. einen Viertelhektar brauchen. Aus diesem Garten wird das Personalrestaurant der Altstätter Firma Zünd Systemtechnik AG beliefert. Coronabedingt nahm das Restaurant seinen Betrieb letzten November reduziert auf. Bei Vollauslastung wird wöchentlich mit rund 250 Mahlzeiten gerechnet. In den letzten Monaten gab es täglich 20 bis 70 Menübestellungen, die Nachfrage zwischen den Tagen ist sehr unterschiedlich. Da ist es praktisch, dass das Gemüse gleich erntefrisch auf der anderen Strassenseite des Firmensitzes des Herstellers von Präzisions-Cuttern, geerntet wird.«Ich möchte daraus ein Leuchtturmprojekt machen, notiere die Kosten, veranschlage Preise für das Gemüse», sagt Agraringenieurin Dudda. Es zeige sich, dass sich der Preis für ihr Gemüse natürlich nicht auf Discounter-Niveau bewege, aber etwa auf dem Level eines Gourmetgeschäftes wie Globus. Ein reiner Gemüseteller käme etwa auf den Preis, den die renommierte vegetarische Restaurantkette Hiltl verlange. Eine Alternative für Quereinsteiger«Es ist klar, dass ich dieses Projekt nur dank Karl Zünd, dem Gründer des Cutter-Herstellers, durchziehen kann, weil ihm Nachhaltigkeit am Herzen liegt und er bereit ist, dafür zu investieren», sagt die 62-Jährige. Allerdings ergäben sich interessante Nebeneffekte für die Firma. Es sei eine gute Imagewerbung, in solide nachhaltige Projekte zu investieren. Zumal heutzutage Unternehmen viel Geld in die Hand nehmen, um einen positiven Gesamteindruck zu hinterlassen. Der Garten ist zudem ein Blickfang, der gezeigt werden kann. Die Beete inmitten des Rasens erinnern nicht an Ackerbau, sondern eher an eine Wohlfühloase. Der Rasen übrigens wird gemulcht und wieder als Dünger eingesetzt. «Und bei uns hat man am Ende des Tages noch etwas Gesundes auf dem Teller. Die Investition ergibt ein sicht- und messbares Ergebnis. Etwas, was man von vielen Marketingaktionen nicht behaupten kann», sagt Eveline Dudda. «Mit Microfarming kann sich jemand schon mit 10000 Franken Startkapital eine Existenz aufbauen. Das ist doch echt eine Alternative zu einem jungen Gemüsebauern, der, selbst wenn ein Hof vorhanden ist, oft mehrere 100 000 Franken investieren muss und dann jahrelang abbezahlt, dazu ohne Gewähr, dass sein Plan aufgeht», sagt Dudda, die für diese Zeitung auch Gartentipps verfasst. Microfarming sei daher für Quereinsteiger wohl die einzige Möglichkeit, im Gemüsegeschäft Fuss zu fassen und sogar aus dem eigenen Sack finanzierbar. Ihre Begeisterung für diese Form der Gemüsezucht schliesst Eveline Dudda ab mit: «Dazu hat man Freiheiten, produziert nachhaltige und gute Produkte, selbst Ferien und Arbeitspausen sind planbar, was insgesamt zu mehr Zufriedenheit und Lebensqualität verhilft.»

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