11.05.2021

Gratwanderung beim Güllenentscheid

SVP-Kantonsrat Walter Freund kritisiert, dass der Kanton den Bauern strenge Vorgaben für das Güllen und Misten im Winterhalbjahr macht, ihnen aber nur dürftige Daten als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stellt.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Früher war es gang und gäb, dass ein Bauer auch einmal im zu Ende gehenden Winter bschüttete, wenn der Güllekasten sich langsam füllte. Dem wurde aber ein Riegel geschoben. Eher sickerte die Gülle nach dem Schmelzen des Schnees nämlich ins Grundwasser oder in einen nahen Bach, als dass sie von der dann noch eher gelblichen als grünen Pflanzendecke aufgenommen worden wäre.Tagesmitteltemperatur über sieben Tage entscheidendAls Richtschnur für den Entscheid, wann man im Winterhalbjahr güllen oder misten darf und wann nicht, haben das Amt für Umwelt und das Landwirtschaftsamt des Kantons St. Gallen diesen Frühling den Bauern ein neues Merkblatt in die Hand gegeben. Ein Schlüsselkriterium ist, dass die Pflanzen in der Lage sein müssen, die Nährstoffe aufnehmen zu können; sie dürfen also nicht mehr in der Vegetationsruhe sein. Dazu muss die Tagesmitteltemperatur über sieben aufeinanderfolgende Tage über 5° C liegen, hält das Merkblatt fest. Umgekehrt fällt die Vegetation nach fünf Tagen unter 5° C wieder in den Ruhezustand zurück.Der Kanton stellt den Bauern online eine Tabelle mit täglich nachgeführten Temperaturmittelwerten von 20 Messstationen zur Verfügung, grün oder rot hinterlegt, je nachdem ob die Vegetationsruhe am jeweiligen Standort vorbei ist oder noch andauert. Zur Beurteilung, ob am eigenen Standort die Vegetationsruhe bereits vorbei ist, solle man eine Messstation heranziehen, die sich in der Nähe und in ähnlicher Höhenlage befinde, heisst es auf dem Merkblatt.[caption_left: Tagesmittelwerte der Messstationen im Rheintal und Werdenberg für den Monat April. Wie entscheidet ein Rebschter oder Rüthner Bauer nach Monatsmitte?]Den Eichberger SVP-Kantonsrat und Meisterlandwirt Walter Freund dünkt dies als Entscheidungsgrundlage schon recht dürftig. 20 Messstationen genügten für den weitläufigen Kanton mit seinen klimatisch unterschiedlich geprägten Regionen nicht, hielt er in einer Interpellation fest, die er im Februar zusammen mit weiteren Kantonsräten der Regierung zur Stellungnahme eingereicht hat.Dass er damit so unrecht nicht hat, zeigt ein Blick auf die Tabelle mit den Messwerten der Messstationen im Rheintal vom April. Der Monat begann frühlingshaft mild. Die Vegetationsruhe war – man mochte es ohne weiteres glauben – vorbei. Doch dann setzte eine über Tage anhaltende frostige Bise ein, und die Tagesmittelwerte sanken an den Messstationen Thal, Kriessern und Salez wieder in den roten Bereich. In Berneck und Frümsen hingegen blieben sie grad um einen Tag noch darüber. An die Daten welcher Messstation soll sich unter diesen Umständen ein Bauer in Rebstein oder in Rüthi halten?Ein Thermometer an der Stallwand tut es nichtNaheliegenderweise wollten Walter Freund und seine Mitinterpellanten wissen, ob es denn statthaft wäre, auf selbst erhobene Temperaturmessdaten zurückzugreifen.Ausschliessen will der Kanton dies nicht, kann der nun vorliegenden Antwort der Regierung entnommen werden. Allerdings ist es nicht so simpel, die Tagesmitteltemperatur festzustellen. Ein Thermometer an der Stallwand, von dem man die Temperatur am Morgen und am Abend abliest und den Durchschnitt aus den beiden Messwerten nimmt, tut es offenbar nicht.Die kantonale Verwaltung würde Minimalanforderungen für die Messtechnik und deren Unterhalt voraussetzen, hält die Regierung fest. Der Kanton würde auch vorgeben, wie die Daten auszuwerten und zu archivieren seien und dass sie bei Bedarf auch offenzulegen seien. Für die Beschaffung und den Betrieb einer geeigneten Messstation wäre mit «nicht unerheblichen Kosten» zu rechnen.Der Kanton will allerdings das Messnetz von sich aus erweitern. Das Landwirtschaftliche Zentrum wolle innert der nächsten vier Jahre weitere Messstationen beschaffen, stellt die Regierung in Aussicht. Damit werde das Kantonsgebiet mit weiteren Referenzorten bald besser abgedeckt sein. Ausserdem prüfe man, die Datenbasis zu verbessern, indem ausgehend von den Daten der Messstationen weitere Temperaturdaten flächenhaft modelliert werden. Sprich: die Messdaten der Stationen würden für ein weiteres Einzugsgebiet extrapoliert. Das Amt für Umwelt werde zusammen mit Nachbarkantonen das Potenzial und die Kosten für einen solchen Ansatz klären.Ideal wäre eine App, die verbindlich Ja oder Nein sagtIn ihrem Vorstoss hatten sich Walter Freund und seine Mitinterpellanten für die Bauern eine App gewünscht, auf der diese einfach ablesen können, ob das Gülle- oder Mistausbringen an einer spezifischen geografischen Lage erlaubt ist oder nicht.[caption_left: «Wir brauchen tagesaktuelle und für die lokalen Gegebenheiten zuverlässige Daten.», sagt Walter Freund, SVP-Kantonsrat und Landwirt.]Die Regierung könnte sich eine solche App vorstellen. Die Landwirtschaftsbranche könnte sie aber auch grad selbst entwickeln lassen, schlägt sie vor. Idealerweise wäre die App als breiter nutzbare Informationsplattform zu bauen, die den Bauern nebst den Informationen zum Düngen im Winter noch weitere für sie relevante Informationen des Landwirtschaftlichen Zentrums bietet.Richtig glücklich macht die Antwort der Regierung Walter Freund nicht. Er anerkennt zwar, dass sich das Amt für Umwelt für die Erarbeitung des Merkblattes – anders als bei früheren Versionen – mit dem Landwirtschaftsamt zusammengetan hat. Ihn stört aber, dass mit dem darin beschriebenen Vorgehen die ganze Verantwortung den Bauern aufgehalst wird. Er fordert darum, dass das Messstationennetz zügig ausgebaut wird. «Wenn denn die Tagesmitteltemperatur dermassen entscheidend sein soll, brauchen wir tagesaktuelle und für die lokalen Gegebenheiten zuverlässige Daten», hält er fest.

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