17.09.2020

Gratwandern, aber Klartext reden

MEINUNG. Unüberbrückbare Differenzen in einem Rat sind immer möglich. Geht es um einen bestimmten Sachverhalt, ist die Lösung leicht herbeizuführen. Man stimmt ab. Die Sieger freuen sich, die Unterlegenen akzeptieren das Ergebnis - und weiter geht’s. Komplizierter wird es, wenn nicht ein bestimmter Sachverhalt Unzufriedenheit hervorruft, sondern die Arbeit oder das Verhalten eines Ratsmitglieds.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
In Balgach sind Gemeinderat Reto Schmidheiny und seine Parteikollegen, aber auch die SVP und ein überparteiliches Komitee von der Arbeit der Präsidentin enttäuscht. Als Konsequenz kandidiert Reto Schmidheiny nun gegen Silvia Troxler. In Marbach stellt sich gleich der ganze Ortsverwaltungsrat hinter sein Mitglied Marco Hutter, mit dem Ziel, den amtierenden Präsidenten Walter Kobelt an der Spitze abzulösen.Für die Wählerschaft sind solche Konstellationen immer schwierig. Es gibt das Amtsgeheimnis, das einer schonungslosen Transparenz im Wege steht, und kein vernünftiger Kandidat kann ein Interesse daran haben, seine Konkurrenz mit Schmutz zu bewerfen.Andererseits hat die Wählerschaft einen Anspruch darauf, die Gründe für unüberbrückbare Differenzen zu erfahren. Sie soll sich ja ihre eigene Meinung bilden können oder zumindest in der Lage sein, aufgrund vorliegender Fakten und Aussagen eine Einschätzung vorzunehmen und sich für einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu entscheiden.Kritik am Gegner in klare Worte fassenSpeziell die (medial oft unerfahrenen) Herausforderer sehen sich in der Pflicht, überzeugend darzulegen, warum sie selbst fürs angestrebte Amt besser geeignet sein sollen. Diese Aufgabe kommt einer Gratwanderung gleich – vor allem, wenn die herausgeforderte Amtsperson keine offenkundigen Fehler begangen hat. Die Absturzgefahr ist umso grösser, je mehr die Kritik an der herausgeforderten Amtsperson (objektiv nicht quantifizierbare) Eigenschaften betrifft. Wenn also die Eignung für die Ausübung des Amts zur Debatte steht.In jedem Fall ist es unvermeidlich, die Kritik am Gegner in klare Worte zu fassen! Wer in der Politik tätig ist, hat das auszuhalten, auch auf kommunaler Stufe.Niemand wird wahrscheinlich vorschnell gegen eine Amtsperson zur Wahl antreten. Um bei den Beispielen Balgach und Marbach zu bleiben: Unmut hat sich angestaut, und irgendwann haben die Unzufriedenen mit ihrer Gegenkandidatur die Konsequenz gezogen.In Marbach zu spät informiertIn Balgach ist vorbildlich früh informiert worden, dass es zu einer Kampfwahl kommt. Und die öffentlich geführte Diskussion verlief insgesamt fair. Die Wählerschaft weiss, was Sache ist, kennt die entgegengesetzten Positionen und ist über die Hintergründe der Kampfwahl vermutlich ausreichend im Bilde.In Marbach erfuhr die Wählerschaft der Ortsgemeinde hingegen zu spät von der bevorstehenden Kampfwahl. Der Versuch, die Gefahr einer Schlammschlacht im Keim zu ersticken und deshalb auf eine frühzeitige «Kampfansage» zu verzichten, mag gut gemeint sein. Aber Differenzen zu verschweigen und die Wählerschaft im Dunkeln tappen zu lassen, fördert bloss Gerüchte und erschwert den Wählenden die Entscheidung.Mit ihrer Kandidatur haben Reto Schmidheiny in Balgach und Marco Hutter in Marbach von einem grundlegenden demokratischen Recht Gebrauch gemacht. Sie stützen sich (trotz offenkundig persönlicher Differenzen mit den Herausgeforderten) weitgehend auf sachbezogene Argumente. Im Vordergrund stehen aber hier wie dort persönliche Kompetenzen. Auf sie wäre früh einzugehen gewesen. Doch bei Kampfwahlen, die aus dem Inneren eines Rates hervorgehen, wird fast immer davon abgesehen, sich detailliert zu angezweifelten oder in Abrede gestellten Fähigkeiten zu äussern.Wahrscheinlich liegt dieser Zurückhaltung ein grundlegender Irrtum zugrunde. Der öffentliche Versuch, eine herausgeforderte Amtsperson zu charakterisieren, ist noch keine Schlammschlacht! Aber anspruchsvoll.  

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