Gert BrudererMinderwertigkeitskomplex, Randregion – solche Begriffe, angewendet auf die Ostschweiz und das Rheintal, gehörten entsorgt. Denn Zahlen belegen die wirtschaftliche Stärke, und andere, treffende Kennzeichnungen bieten sich an.Den Volkswirtschaftler Peter Eisenhut verärgerten jüngst Schlagzeilen wie «Jammertal Ostschweiz» (Tagesanzeiger, 7. 2. 2018) oder «Die Ostschweiz befindet sich im Dämmerzustand» (NZZ, 27. 10. 2017). Auch die IHK ecoOst trübte Eisenhuts Laune, als sie die wirtschaftliche Entwicklung der Ostschweiz als unterdurchschnittlich darstellte.Am Donnerstag, am Konjunktur- und Trendforum der St. Galler Kantonalbank unter dem traditionellen Titel «Horizonte», hielt der Volkswirtschaftler kräftig dagegen, unterstützt vom Vortragsreisenden Ludwig Hasler und von Regierungsrat Bruno Damann.Konjunkturindex auf ZehnjahreshochÜberblickt Peter Eisenhut den Zeitraum von 2008 bis heute, dann sieht es so aus: Der regionale Konjunkturindex befindet sich auf einem Zehnjahreshoch, er ist aufs Niveau von 2008 zurückgekehrt. Die Ostschweizer Wirtschaft sei zudem in den letzten zehn Jahren dynamischer gewachsen als die Schweiz im Durchschnitt und liege mit einer Produktivitätssteigerung von 5,2 Prozent sogar an der Spitze. Von «Dämmerzustand» keine Spur, lautet des Fachmanns Befund.Dass trotzdem immer wieder das Bild einer hinterherhinkenden Ostschweiz gezeichnet werde, liege zum Teil an verzerrten Statistiken. In diesen spiele etwa die Pharmaindustrie eine gewichtige Rolle – aber was zählt dies, wenn abgesehen von ihr (die in der Ostschweiz ja nicht existiert) unsere Exportregion bei der Ausfuhr in allen Warengruppen stärker ist als der Rest der Schweiz? «Hut ab vor allen unseren Ostschweizer Exporteuren», sagte Peter Eisenhut. Auch um die Beschäftigung stehe es gut. In der Industrie, die für das Rheintal und die Ostschweiz ausschlaggebend ist, beträgt der Zuwachs 1,9 Prozent und somit 0,3 Prozent mehr als im Landesdurchschnitt.Ein Komplex ist «nichts Schlimmes»Den guten Nachrichten zum Trotz gilt auch für unsere Region ein von Ludwig Hasler genanntes «gnadenloses Gesetz»: Entweder wir werden besser oder andere werden besser als wir. Der Philosoph ortete «eine Art Abstiegskomplex, der ‹umewurmet›», wobei ein Komplex ja nichts Schlimmes, sondern dazu da sei, aus ihm etwas zu machen. Wie Harald Schmidt, der deutsche Entertainer und Kabarettist, der «nie so erfolgreich geworden wäre», hätte er in jungen Jahren keine Pickel gehabt.Die Ostschweiz verfüge über die «klassischen Arbeitstugenden» und den nötigen Unternehmergeist – wie in der Zeit der Stickerei. Mit Blick auf die westlich gelegene Metropole fügte Hasler, der Luzerner, hinzu: «D’ Zürcher wönd nöd sticke, dia wönd chlotze.»Mehr Ruhe für InspirationDie Ostschweiz nannte der Philosoph einen Zwischenraum, der einen eigenen Charakter habe und nicht nur eine Richtung kenne. Die Ostschweiz habe den Vorteil, im Aufmerksamkeitsschatten der Zentren zu stehen. Anders als Zürich, das von der Angst gejagt sei, einen Trend zu verpassen, sei die Ostschweiz eher immun gegen Trends, man «ist eher bei sich» – in einer gemütlichen, schönen Region mit praktisch keinem Dichtestress, in einem Rheintal mit «mehr Ruhe für Inspiration» als Zürich sie habe.Konservativ im Umfeld von WeltunternehmenNatürlich sei Technologie heute der Treiber, auch in der «vielleicht etwas zu ordentlichen», mit zu wenig Wildheit versehenen Ostschweiz. Ludwig Hasler verwies auf ein «cleveres Aargauer Modell», einen Forschungsfonds, der Hochschulen mit Forschungsinstituten vernetze.Regierungsrat Bruno Damann, Vorsteher des St. Galler Volkswirtschaftsdepartementes, erinnerte an das in Buchs bestehende Forschungs- und Innovationszentrum Rhysearch und meinte: «Ein Innovationsprogramm, wie Ludwig Hasler es anregt, haben wir schon ein Stück weit, aber es muss sicher noch mehr geschehen.» Den Ausdruck Zwischenraum versteht Damann positiv, aber solange unsere Region kein metropolitaner Raum sei, habe sie Mühe, in Bern wahrgenommen zu werden. Der von Hasler gerade für einen heterogenen Raum empfohlenen Zusammenarbeit bedürfe es tatsächlich mehr.«Besser verkaufen» müssten wir uns in Bern, sagte Damann, denn etwas wundert ihn: Bei Volksabstimmungen verhalte sich die Bevölkerung ausgerechnet dort recht konservativ, wo innovative Weltunternehmen tätig seien. Auch die «Riesendiskussion» über 49 Millionen Franken für die Erneuerung des Stadttheaters St. Gallen erstaunt den Regierungsrat, der mit Blick nach Haslers Herkunftsstadt Luzern ein Gefühl wie sanften Neid erkennen liess.