15.06.2021

Geschichten, die Hoffnung geben

Der aus Oberriet stammende Regisseur Thomas Lüchinger fragt in seinem neuen Dokumentarfilm 16 Ostschweizer, was sie zuversichtlich stimmt.

Von Roger Berhalter
aktualisiert am 03.11.2022
«Es chunnt scho guet», sagt man gern, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Um durchzuhalten und weiter zu machen. Der Satz ist gut gemeint, doch er bereitet Thomas Lüchinger Mühe. «Wenn ich die Probleme in der Welt betrachte, dann genügt ‹es chunnt scho guet› nicht mehr», sagt der Filmemacher. Er meint nicht die Pandemie, sondern jene Themen, die sie verdrängt hat, wie das Flüchtlingselend oder die Klimakrise. «Was auf uns zukommt, ist gravierend», sagt Lüchinger. «Die Frage ist: Wie gehen wir damit um?»Diese Frage hat sich der 67-Jährige im vergangenen Jahr oft gestellt. Denn Lüchinger hatte Pech. Sein Dokfilm «Paths of Life» kam im Frühling 2020 in die Kinos und lief nur zehn Tage lang, bis zum ersten Lockdown. Bitter für den Filmemacher, der drei Jahre an seinem Projekt gearbeitet hatte. Doch statt zu resignieren, nahm er gleich den nächsten Film in Angriff. Dieser sollte von Zuversicht handeln, das sei ihm schnell klar geworden. «Zuversicht» heisst denn auch sein 70-minütiger Dokumentarfilm, der diese Woche im St. Galler Kinok Premiere feiert.Ein Tänzer, eine Sans-Papiers und eine Aktivistin16 Ostschweizerinnen und Ostschweizer hat Lüchinger für seinen Film vor die Kamera geholt. Vom Rettungssanitäter bis zur Psychologin, von der Hebamme bis zum Asylbewerber, von der Sans-Papiers bis zu den eigenen Enkeln. Manche sind bekannte Figuren, zum Beispiel Marco Santi, der ehemalige Leiter der Tanzkompanie des St. Galler Theaters, die Herisauer Puppenspielerin Kathrin Bosshard oder die St. Galler Klimaaktivistin Miriam Rizvi.Lüchinger hat seine Protagonisten vor einem schwarzen Hintergrund platziert und lässt sie in die Kamera reden. Sie erzählen von Lebenskrisen, von schönen Momenten und sinnieren über das, was ihnen Zuversicht gibt. Der Zuschauer wird direkt angesprochen und sitzt sozusagen mit ihnen am Tisch.Zwischen den einzelnen Aussagen zeigt Lüchinger Landschaftsaufnahmen aus dem Appenzellerland und den Alltag der Menschen. Der Schauspieler Philipp Langenegger liest Gedichte, begleitet von Patrick Kessler am Kontrabass. Die sanften, versöhnlichen Pianoklänge des Soundtracks stammen von Ephrem Lüchinger, dem Sohn des Filmemachers.Lüchinger macht mit «Zuversicht» eine Gratwanderung, die nicht immer gelingt; an manchen Stellen kippt der Film ins Esoterische. Doch ist Lüchinger mit der Kamera einigen universellen Wahrheiten auf der Spur und kommt ihnen sehr nahe. Die versöhnlichen Klänge und die friedliche Bildsprache lassen den Zuschauer zur Ruhe kommen und schaffen Platz im Kopf. «Zuversicht» gibt einem im besten Sinn zu denken.Die unmittelbare Umgebung vor der KameraFür seine vergangenen Filmprojekte reiste Lüchinger manchmal weit, um seine Protagonisten zu treffen. Für «Zuversicht» hat er die Kamera hingegen auf seine unmittelbare Umgebung gerichtet. Einerseits, weil er musste, weil Reisen nicht mehr möglich war. Anderseits sah er in der vermeintlichen Einschränkung bald Vorteile. «Man erfährt viel über die Welt, wenn man sich im eigenen Dorf umhört.» Allgemeingültige Wahrheiten seien nicht an Orte gebunden. Lüchinger filmte auch seinen Nachbarn Godi Zesiger. Der 93-Jährige erzählt von einem Briefwechsel in jungen Jahren, als er mit einer Frau flirtete. Und davon, wie er heute, als alter Mann, schon glücklich sei, wenn er ohne Schmerzen aufwache. «Godi allein hätte einen ganzen Film hergegeben», sagt Lüchinger. Doch kommt der Nachbar wie alle Protagonisten nur ein paar Minuten lang zu Wort.So entsteht im Verlauf des Films ein Kaleidoskop, ein vielfarbiger Blick auf das, was man Zuversicht nennt. «Es kommt nicht alles gut», sagt Puppenspielerin Kathrin Bosshard an einer Stelle. «Es kommt auch nicht schlecht. Es ist einfach. Und ich muss schauen, wie ich damit fertig werde.»HinweisPremiere am 17. 6. im Kinok St. Gallen (ausverkauft); weitere Vorführungen ab 19. 6. (siehe www.kinok.ch); ab September läuft «Zuversicht» in weiteren Schweizer Kinos.

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