11.01.2019

Gemeinderat ist «gottefroh», wenn die Schule ihren Job macht

Dass es im Rheintal einen grossen weissen Flecken gibt statt einen grünen, liegt nicht nur am Winter. Sondern auch daran, dass Einheitsgemeinden hier in der Minderheit sind. Das soll sich ändern.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererMit den Worten von Sandro Hess, dem Präsidenten der CVP Rheintal: «Das Thema ist brandaktuell». In Au, St. Margrethen und Berneck wird die Bildung einer Einheitsgemeinde von den Behörden angestrebt, in Marbach wird darüber sicher bald geredet, womöglich auch andernorts. Die CVP hat am Donnerstagabend in Widnau Politiker auftreten lassen, die aus Erfahrung sprachen.Aber zuerst zu den Flecken. Auf der Webseite des Kantons gibt es zwei interessante Karten, auf denen die Einheitsgemeinden grün eingezeichnet sind. Auf der Karte von 2006 stechen auf einer weitgehend weissen Karte ein paar wenige grüne Flecken ins Auge. Auf der Karte von 2018 ist es umgekehrt: auf einer weitgehend grünen Karte hat es ein paar weisse Flecken. Speziell das Rheintal fällt auf. Von 13 Gemeinden sind hier bloss vier eine Einheitsgemeinde. In keiner Region des Kantons ist der Anteil der Nicht-Einheitsgemeinden so hoch wie zwischen den beiden Einheitsgemeinden Rheineck und Rüthi.Widnau: Bis heute ein ErfolgsmodellDass die CVP Rheintal ihren Anlass in Widnau durchführte, war ein schöner Zufall. Denn Widnau kommt eine Pionierrolle zu. Als vor zwanzig Jahren die politische Gemeinde den Voranschlag ablehnte, nachdem die damals noch bestehende Schulgemeinde ihr Budget unmittelbar zuvor an der Bürgerversammlung genehmigt hatte, habe man sich die Augen gerieben, gab der seit drei Monaten pensionierte Schulpräsident Hugo Fehr zu verstehen. Die Zeit für die Einheitsgemeinde war reif. Zwar hätten damals Lehrer in Gesprächen eine gewisse Unsicherheit erkennen lassen, sagte Fehr, doch die Bildung der Einheitsgemeinde sei schnell und reibungslos erfolgt – und sei bis heute ein Erfolgsmodell.Die Entwicklung der letzten zwölf Jahre spricht Bände. Die Zahl der Schulgemeinden im Kanton St. Gallen ist von 116 auf 36 gesunken, die Zahl der Einheitsgemeinden von 19 auf 55 gestiegen. Bruno Schaible vom Amt für Gemeinden sagte, dem Kanton sei nicht eine einzige Einheitsgemeinde bekannt, die mit der neuen Form nicht glücklich sei und den Schritt rückgängig machen wollte. Kein Wunder, betrachten sowohl die St. Galler Regierung als auch der Kantons­- rat die Einheitsgemeinde als Modell der Zukunft. Bruno Schaible nannte unter anderem die deutlich bessere Planungssicherheit, die Vereinfachung von Abläufen und die Entlastung der Schule bei der Verwaltung der Liegenschaften als Vorteile. Bei einem Anteil des Schulgemeindebudgets von 40 bis 60 Prozent am Gesamtgemeindebudget sei die Eingliederung der Schule in die politische Gemeinde nur folgerichtig.Schulen fürchten, unter die Fuchtel zu geratenWarum aber ist dann in manchen Gemeinden der Widerstand ge­gen die Einheitsgemeinde noch immer gross? Trotz Beispielen wie diesem: Drei politische Gemeinden und vier Schulgemeinden wurden 2013 mit Ja-Stimmen-Anteilen von 63 bis 82 Prozent zur neuen Einheitsgemeinde Gommiswald.In erster Linie ist wohl der Wunsch von Schulen nach der Wahrung ihrer Eigenständig­- keit der Grund für Skepsis und Widerstand. Beziehungsweise die Furcht von Schulen, sie könnten in einer Einheitsgemeinde unter die Fuchtel des Gemeinderats geraten.In Muolen, Einheitsgemeinde seit 2015 dank einer Dreiviertelmehrheit, ist der Gemeinderat allerdings «gottefroh», dass er sich um den Schulbetrieb nicht zu kümmern braucht. Dies sagte Bernhard Keller, der Gemeindepräsident. Mit der Bildung der Einheitsgemeinde sei denn auch keinerlei Sparübung verbunden gewesen.Hugo Fehr ergänzte: «Kein Gemeinderat will eine schlechte Schule.» Entsprechend finde auch keine Einmischung statt. Im Widnauer Gemeinderat sei die Schule, abgesehen von der Budgetierung, kaum je ein Thema gewesen. Gegenüber dem Gemeinderat sei zwar mehr zu begründen gewesen, aber in 18 Jahren habe dieser der Schule «nichts gestrichen».Bernhard Keller hat nach dem Wechsel Muolens zur Einheitsgemeinde allerdings die Erfahrung gemacht, dass sich Leute mit Wünschen zur Schule an ihn wandten. Sie alle habe er an den Schulpräsidenten verwiesen. Wie wichtig das ist, hat auch Roland Wälter, der Gemeindepräsident von Diepoldsau, nach der Bildung der Einheitsgemeinde sogleich erkannt. Erst vor wenigen Tagen betonte er die Wichtigkeit, dass in der Einheitsgemeinde ein jeder sich auf die eigenen Aufgaben beschränkt.Auch in Gommiswald habe vor der Fusion und Bildung der Einheitsgemeinde «die Angst der Schule vor der Bestimmung durch andere latent im Raum gestanden», sagte Peter Göldi. Doch die Angst sei schon insofern unbegründet, als sich alles, was der Schule wichtig sei, aushandeln und in der Gemeindeordnung festhalten lasse. Inzwischen sei in Gommiswald sogar der Wechsel vom Schulrats- zu einem Geschäftsleitungsmodell ein Thema, das ernsthaft erörtert werde.In Muolen wurde die Bildung der Einheitsgemeinde dazu genutzt, die Zahl der Schulräte von fünf auf drei zu senken. Bernhard Keller sagte, die konsequente Beschränkung auf pädagogische Aufgaben bedeute die Konzen­tration des Schulrats «auf die ureigensten Interessen der Schule». Ein Ausdruck der Zufriedenheit mit der heutigen Lösung ist auch dies: Der Schulpräsident, der bei der Bildung der Einheitsgemeinde die Beendigung seiner Amtszeit nach zwei Jahren angekündigt hatte, fand am neuen Modell so sehr Gefallen, dass er dann doch eine zusätzliche Amtszeit anzuhängen bereit war.

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