15.02.2021

«Gemeinderat agiert intransparent»

Abstimmung Baurechtsvertrag Seniorenwohnheim: Gegner der Vorlage kritisieren das fehlende Mitgestaltungsrecht der Bevölkerung.

Von David Scarano
aktualisiert am 03.11.2022
In drei Wochen steht in Lutzenberg der Urnengang an, der über die Zukunft des Seniorenwohnheims Brenden entscheiden soll. Temperatur und Nervosität im Abstimmungskampf steigen. So hat kürzlich der Gemeinderat mit einem Informationsflyer die Kritik der Gegnerschaft gekontert. Allerdings ist unklar, ob die Abstimmung am 7. März über den Baurechtsvertrag mit Betreiberin Fortimo AG stattfinden kann. Eine Stimmrechtsbeschwerde ist noch hängig.Nun treten die Personen hinter der Beschwerde an die Öffentlichkeit. Sie haben Ende Januar mit einem Brief an alle Einwohner für ein Nein zum Baurechtsvertrag geworben und so die Reaktion des Gemeinderats ausgelöst. Das Trio dürfte in der Gemeinde nicht unbekannt sein: Hans Dörig, der die Beschwerde eingereicht hat, war von 2007 bis 2013 Gemeinderat. Rolf Bölsterli ist Geschäftsführer eines Walzenhauser Industriebetriebs und Patrick Thomann Mitinhaber in einem Familienbetrieb. Sie sind die zweite Partei, die gegen das Vorhaben des Gemeinderats kämpft. Mit Felix Zwicky, der sich mit der Exekutive in die Haare geriet, teilen sie aber nur das Ziel. «Ansonsten bestehen keine Verbindungen», sagt Dörig.Gemeindeordnung sieht Vernehmlassung vorDörig und seine zwei Mitstreiter lehnen den Baurechtsvertrag des 15-Millionen-Franken-Projektes aus mehreren Gründen ab. Ein Kritikpunkt ist die Heimfallklausel. Diese regelt nicht nur die Zeit nach dem ordentlichen Ende des Vertrags nach 99 Jahren. Sie gilt auch, wenn die Betreiberfirma in Schwierigkeiten kommt. Dörig sagt: «Dann könnte die Gemeinde als Grundeigentümerin in Zugzwang kommen. Sie müsste die Liegenschaften abgelten, was eine Kostenfolge von 15 Millionen Franken hätte.» Der Gemeinderat sieht es anders. Er argumentiert, bei einer Insolvenz würden die Forderungen der Gläubiger an erster Stelle stehen. Es bestünde zwar ein Vorkaufsrecht für die Gemeinde, dieses einzulösen sei aber keine Verpflichtung. Diese nicht auszuschliessende Kostenfolge führt zum Kern des Disputs, der demokratische Grundrechte betrifft und ein zentraler Punkt der Stimmrechtsbeschwerde ist. Hat der Gemeinderat die Kompetenz, eigenständig über die Auslagerung der Altersbetreuung zu entscheiden und einen Vertrag abzuschliessen, der die Gemeinde Millionen kosten könnte? Müsste nicht der Bevölkerung ein Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht eingeräumt werden? Dörig, Thomann und Bölsterli sind der Meinung, die  Bevölkerung müsse zwingend einbezogen werden. Die bisherigen Informationsveranstaltungen reichten nicht. Sie verweisen auf die Gemeindeordnung. Darin heisst es: «Bei Vorlagen zu allgemeinverbindlichen Reglementen sowie bei anderen wichtigen Geschäften sind die interessierten Kreise zur Vernehmlassung einzuladen.» Die Auslagerung der Altersbetreuung gehört ihrer Meinung nach klar zu den «wichtigen Geschäften». Auch die Gemeinde spricht von einem «Jahrhundertprojekt». Thomann sagt:  «Ich kann mich an kein grösseres Projekt in Lutzenberg erinnern, aber eine Vernehmlassung gab es nicht.» Dörig ergänzt, für die Bevölkerung heisse es «friss oder stirb». Im Edikt steht, dass es alternativ zur Vergabe an einen professionellen Betreiber nur die Schliessung des Heims gebe.Die Gegner kritisieren zudem die Kommunikation des Gemeinderats. Thomann moniert:«Er agiert intransparent und widersprüchlich» Dörig wirft der Exekutive vor, zu einer «Salamitaktik» zu greifen. Sie verweisen exemplarisch auf die Aussagen der Gemeindepräsidentin Maria Heine Zellweger zur Frage, ob es eine Abstimmung brauche. An der Orientierungsversammlung im August 2020 teilte sie den Anwesenden mit, der Abschluss des Vertrags liege in der Kompetenz des Gemeinderats, es gebe keine Abstimmung. An dieser Meinung hielt sie bis im November fest. An jener Versammlung gab sie dann bekannt, die Gemeinde werde den Vertrag nun doch vors Volk bringen. Das Hin und Her wirft Fragen auf, vor allem da seit Anfang Februar 2021 auf der Website Lutzenbergs die Absichtserklärung zwischen der Fortimo AG und der Gemeinde aufgeschaltet ist. Das Dokument wurde im Januar 2020 auch von Heine Zellweger, damals noch Gemeinderätin, unterschrieben. Unter Punkt 13 wird festgehalten, dass sich «Lutzenberg dazu verpflichtet, den Baurechtsvertrag schnellstmöglich bei der Bevölkerung genehmigen zu lassen.»Seit 13 Jahren befasst sich der Gemeinderat Lutzenberg intensiv mit der Zukunft des Seniorenwohnheims Brenden. Wie es im Abstimmungsedikt heisst, habe er viele Varianten geprüft, die aufgrund diverser Faktoren aber nicht realisiert werden konnten. So sind unter anderem Lösungen mit Thal und zuletzt mit Walzenhausen gescheitert. Nun wähnte er sich auf der Zielgeraden. Man habe mit der Fortimo AG eine ideale Partnerin gefunden, heisst es im Abstimmungsbüchlein weiter. Dies betont Vizegemeindepräsidentin Esther Albrecht auch im Gespräch mit der «Appenzeller Zeitung». Das Unternehmen führt seit 2013 ein erweitertes Seniorenwohnheim in Waldstatt, das als Vorbild für das Lutzenberger Projekt dient. Die beiden Heime sollen über die Tochterfirma Bad Säntisblick AG gemeinsam geführt werden. Dass Esther Albrecht zu den Vorwürfen Stellung nimmt, hat mit dem krankheitsbedingten Ausfall von Maria Heine Zellweger zu tun, die als Gemeindepräsidentin und Ressortverantwortliche Soziales bislang federführend war. Albrecht sagt, der Gemeinderat war stets der Meinung, genügend informiert zu haben. Sie verweist auf die durchgeführten Informationsveranstaltungen in den letzten beiden Jahren und die ausführlichen Berichte im Gemeindeblättli «Fokus». Ein geplanter Workshop musste hingegen wegen der Coronapandemie abgesagt werden. Die Vizepräsidentin räumt aber Fehler in der Kommunikation ein.  «Im Namen des Gemeinderats bitte ich die Bevölkerung um Entschuldigung.»Stets Rat bei Anwälten und kantonalen Stellen geholtEsther Albrecht sagt, man habe sich aber bei allen Schritten stets von Anwälten und kantonalen Stellen beraten lassen. Aus diesem Grund habe man zunächst auf eine Abstimmung verzichtet. «Die Passage in der Absichtserklärung ist dabei leider nicht beachtet worden». Ihr ist allerdings wichtig, festzuhalten, dass der Gemeinderat eine Milizbehörde sei, die stets die gesamte Bevölkerung repräsentieren solle. Sie sagt: «Es darf nicht sein, dass nur noch Juristen und Akademiker ein solches Amt ausführen können. Falls Fehler passiert sind, haben wir stets mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt.»Zum Vorwurf der fehlenden Vernehmlassung sagt sie, dass das Altersheim zwar ein Jahrhundertprojekt sei, aber das Führen eines Pflegeheims nicht zwingend zu den Kernaufgaben einer Gemeinde gehöre. «Es gibt im Kanton diverse Gemeinden, die keine eigenen Heime mehr führen. Wir wollen den Lutzenbergern aber als Zeichen der Wertschätzung ein altersgerechtes Zuhause in Lutzenberg bieten, damit sie ihren Lebensabend nicht anderswo verbringen müssen». Ein grosser Anteil der heutigen stabilen Finanzlage habe Lutzenberg den Seniorinnen und Senioren zu verdanken.Am Dienstag wird der Regierungsrat voraussichtlich über die Stimmrechtsbeschwerde entscheiden. Was passiert, wenn er diese gutheisst, ist unklar. Die Gegner der Vorlage hoffen wie bei einem Nein an der Urne auf einen neu aufgerollten Entscheidungsprozess, der die bisherige Vorarbeit übernimmt, aber zwingend eine Varianten- und Volksdiskussion beinhaltet. «So muss auch die Möglichkeit eines genossenschaftlich geführten Heims mit allen Vor- und Nachteilen breit diskutiert werden», sagt Hans Dörig. Auf dieser Basis soll der Gemeinderat den Auftrag erhalten, die vom Volk gewünschte Variante auszuarbeiten. Ein zeitliches Problem sehen sie nicht. Man hätte noch zwei Jahre Zeit, da der Baubeginn spätestens Ende 2023 erfolgen müsse, sagt Patrick Thomann.Aus Sicht des Gemeinderates gibt es hingegen keine zeitlich umsetzbare Alternative. Die Zeit dränge, sagt Esther Albrecht. «Spätestens mit dem Auslaufen der Bewilligung 2025 müssten wir das Heim schliessen».

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