Eine Frau Anfang 30 betrat mit zwei Kindern den gut besetzten Speisewagen, am Arm einen grossen Korb voller Rosen. Mit freundlicher Stimme erklärte sie, dass sie die Tochter des Lokführers sei. Ihr Vater habe heute im Führerstand der Lok seine allerletzte Fahrt – und diese ende in Leipzig.
Er habe Zeit seines mehr als 40-jährigen Berufslebens bedauert, dass er kaum den Fahrgästen persönlich begegnen konnte, die er tagaus, tagein befördere. Und so habe sie sich gedacht, dass heute eine gute Gelegenheit dazu sei. Sie würde gerne allen Fahrgästen eine Rose aushändigen, mit der Bitte, dass sie die Rose bei der Ankunft in Leipzig ihrem Vater persönlich überreichen würden.
Es war ein Moment still im Speisewagen, dann viele nickende Köpfe. Jeder der Fahrgäste nahm eine Rose; Manager, Monteure, Studenten, Omas und Enkel. Als der Zug in Leipzig einfuhr, war alles anders als sonst, wenn ein Zug ankommt. Besonders auffällig: Die Abwesenheit von Hektik. Der sonst so eilig fliessende Strom der Reisenden schob sich gemächlich dahin.
Jeder bedankte sich beim tränenüberströmten Lokführer
Zahllose Menschen bewegten sich auf die Lok zu, vor der sich in kürzester Zeit eine lange Schlange bildete. Und jeder bedankte sich bei dem nach kurzer Zeit tränenüberströmten Lokführer. Schon bald war der Führerstand übersät mit Rosen. Das dreiköpfige Empfangskomitee der Bahn, das dem Jubilar einen kleinen Strauss überreichen wollte, starrte fassungslos auf das Geschehen. Mehrere Reisende aus Japan zückten die Kameras und fotografierten, was das Zeug hielt.
Vielleicht in der Annahme, dass es in Deutschland darum so wenig Bahnunfälle gibt, weil die Reisenden den Lokführer nach jeder Fahrt mit Blumen überschütten?
Geschichte bringt zum schmunzeln und macht gleichzeitig betroffen
Das ist eine Geschichte, die mich zum Schmunzeln bringt und gleichzeitig peinlich betroffen macht; wie oft stand ich schon wartend auf dem Perron und nervte mich, wenn der Zug Verspätung hatte?
Im Vergleich mit anderen Bahnen in Europa können wir uns hier in der Schweiz kaum beklagen über die Unpünktlichkeit der Züge. So geht es mit vielen Dingen – und Menschen –, die im Alltag um uns herum reibungslos funktionieren und für die wir kein Wort des Dankes haben. Aber, wenn dann mal etwas nicht so ist, wie wir es gewohnt sind, regen wir uns auf und sind schlecht drauf.
Vielleicht bietet sich genau der heutige Tag an, aus diesem Muster auszubrechen und sich bei den Menschen zu bedanken, die treu ihre Arbeit tun. Im Kolosser 3, 16 heiss es: «Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar!»
Schlecht drauf ?!? Versuchen Sie es einmal mit Dankbarkeit und Wertschätzung!