29.05.2020

«Geist für alle!»

Heisst es, «Freibier für alle!», sind alle begeistert. Man stimmt unumwunden zu, freut sich über den Genuss, den Geschmack. Dafür lehnt man sich gerne zurück. Ruft man stattdessen: «Geist für alle!», darf man sich wohl eher auf fragende Gesichter und belächelnde Blicke gefasst machen. Nur gerade darum geht es beim Fest Pfingsten.

Von Carsten Wolfers
aktualisiert am 03.11.2022
Vom Propheten Joel heisst es in der Bibel, dass er auf eine Zukunft blickt, in der alle von Gottes Geist erfüllt sein werden: die einen wie die anderen, Junge und Alte, Knechte wie Mägde, Töchter und Söhne. Die Menschen werden Visionen haben und Träume, inspiriert von Gottes Geist. Eben alles Materielle, was im biblischen Sinne Fleisch heisst, wird erfüllt werden von seinem Geist.Bislang galten nur wenige Auserwählte als Sprachrohr Gottes. Dabei sollte es nicht bleiben. Joel spricht die Verheissung hinein in eine Zeit grosser Bedrohung: Die Feinde von aussen bedrängen Israel, eine Heuschreckenplage folgt der nächsten. Joel spricht vom Geist für alle, wo nur wenige mit Gottes Geist noch rechnen. Er wird viele belächelnde Blicke ernten.Bei Jesus taucht der kleine Prophet wieder auf. Einerseits geschieht dies mit Blick auf Gottes grossen Tag am Ende. Andererseits kritisiert er jene, die meinen, Gottes Geist durch Amt oder Besitz für sich vereinnahmen zu können. Vor Gott sind die Menschen gleich, egal ob klein oder gross, jung oder alt, egal ob Frau oder Mann. Bezeichnen sich Christen in unserer Zeit als Schwestern und Brüder, erinnern sie sich daran. Es entspricht Jesu Haltung, dass seine Gläubigen sich auf Augenhöhe begegnen, oder sich eher zurück, als sich zu wichtig zu nehmen.Schliesslich greift Petrus Joel in dessen Pfingstansprache auf. Denn dort beginnt, was Joel für die ferne Zukunft erhofft: Gottes Geist verteilt sich auf die ganze zusammengewürfelte Völkerschar, die sich damals in Jerusalem versammelt hat.Pfingsten war offensichtlich nur ein Anfang. Wer in der Welt sich umschaut, hat eher den Eindruck, dass eine Plage oder Krise der nächsten folgt. Zwischen all den materiellen Nöten scheint gerade heutzutage ein göttlicher Geist, der Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und des Friedens verspricht, eher auf fragende Gesichter zu stossen.Wer in der Kirche sich umschaut, hat eher den Eindruck, dass viel über Geld und Macht, Geltung und Strukturen die Rede ist, weniger aber über den Geist, der diese Glaubensgemeinschaft Gleichgesinnter antreibt.Pfingsten ist eben nur ein Anfang gewesen, und die weitere Entwicklung ist noch zugange. Joel, Jesus oder Pfingsten werfen nur mal den Blick voraus, was erst noch kommt.Hört man: «Freibier!», lehne ich mich zurück, kann geniessen und alles bleibt so, wie es ist. Darin liegt der grosse Unterschied. Hört man nämlich: «Geist für alle!», stehen Entwicklung und Veränderung an. Das verdient hoffnungsvolle Gesichter und interessierte Blicke darauf, was noch kommt.Carsten WolfersDiakon in Balgach

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