12.05.2020

Gefängnis oder neu gewonnene Freiheit

Ein Bauzaun macht sichtbar, dass die Bewohner im Zentrum Augiessen seit Wochen eingesperrt sind.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Herrliches Frühlingswetter, Sonnenschein und im Haus eingesperrt. Das mussten die Bewohnerinnen und Bewohner des Zentrums Augiessen in den letzten Wochen erdulden. Ihren Blick durften sie zwar durch den Garten und Park schweifen lassen, aber hinauszugehen war ihnen nicht gestattet. «Unsere Pensionäre durften das Haus nicht verlassen», sagt Gemeindepräsidentin Christa Köppel. Die Grünfläche rund ums Gebäude ist gross. Sie ist aber nicht eingezäunt und es führt ein öffentlicher Weg über das Gelände.«Letzte Woche hatten wir die Blitzidee, einen Bauzaun aus dem Lager zu holen und aufzustellen», sagt Christa Köppel. Seither ist das Gelände komplett eingezäunt. «Viele Bewohnerinnen und Bewohner können nun wieder mit ihrem Rollator frei spazieren gehen.»Den Zaun, den Christa Köppel als neue Freiheit beschreibt, kritisieren andere. Die Bewohner seien eingesperrt, könnten nicht einmal hinausschauen. Ein mehr als mannshohes Vlies verdeckt die Sicht.Bewegungsfreiheit statt Schönheitswettbewerb«In der Coronazeit geht es nicht darum, einen Schönheitswettbewerb zu starten», sagt die Christa Köppel. «Wir haben einen Kompromiss zwischen einem hässlichen Hag und mehr Bewegungsfreiheit gewählt.»Die Schönheit gewinnt jetzt doch etwas an Gewicht. Die laut gewordenen Reklamationen und die Lockerungen der BAG- Regeln veranlassten Christa Köppel dazu, nachzubessern. Am Montag verschwand das Vlies am Zaun. Stattdessen flattern nun bunte Wimpel im Wind.Auch diese Form des Zaunes befremdet Nachbar Hans Gaiser. «Dass die Menschen im Heim eingesperrt sind, beschäftigt mich in der Coronakrise am meisten», sagt er. Er sähe es lieber, stünde nicht ein Bauzaun dort. «Das sieht ja aus, als wäre das Heim ein Gefängnis.» Hans Gaiser ist der Meinung, dass ein Absperrband auch den gewünschten Zweck erfüllte. «Die Pflegerinnen könnten die Bewohner auf dem Spaziergang begleiten und aufpassen, dass sie auf dem Gelände bleiben.»Weiter sagt Hans Gaiser, es bereite ihm Mühe als Angehöriger der Risikogruppe bezeichnet zu werden. «Ich fühle mich abgestempelt in einer Zweiklassengesellschaft.» Es gehe nicht nur um die physische, sondern auch um die psychische Gesundheit. «Ich halte mich an Regeln und nehme meine Eigenverantwortung wahr», sagt er.Monika von der Linden

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