10.11.2019

Gallenstein ist überall

Mit «Striptease» konnte das Altstätter Seniorentheater das Publikum im ausverkauften «Diogenes» begeistern.

Von Gerhard Huber
aktualisiert am 03.11.2022
«Wenn man mit Sechzig am Morgen aufwacht und es tut nichts weh, dann ist man in Wahrheit in der Nacht gestorben.» Witze über das Altern und das Sterben zu reissen, das ist wirklicher Galgenhumor. Und das beste Mittel, um die dunklen Gedanken zu vertreiben, sei das Theaterspielen. Wozu bei der zehnköpfigen Darstellercrew des Altstätter Seniorentheaters auch das Schreiben der Theaterstücke gehört. Denn ihre zwei-te und wieder im Diogenes-Theater aufgeführte Produktion «Striptease – i bi so wien-i-bi» ist ein Gemeinschaftswerk der Schauspieler.Wohl kaum ein echter PfarrerWas man als Zuschauer auch sofort merkt, wenn man den Bewohnern und Besuchern der fiktiven Stadt Gallenstein bei ihrem seltsamen Treiben, ihrem genüsslichen Seelenstriptease zuschaute. Denn die Bühnenakteure agieren mit lustvoller Selbstironie und voller Esprit. Die Rahmenhandlung beginnt auf dem Friedhof beim Begräbnis des Gemeinderates und Handlungsreisenden Kurt Oberholzer. Der Pfarrer hält die Leichenrede, die er aus einem Buch mit dem gleichen Titel abliest. Ein echter Pfarrer? Wohl kaum, da sich herausstellt, dass er als «Rent-a-Pfarrer» vermittelt wurde. Das Besondere bei dieser Beerdigung: Während die jeweils anderen Trauernden im Stillstand verharren, gibt einer nach dem anderen das von sich, was er in Wirklichkeit gerade denkt. Eine geniale Szene, schmerzhaft real und gleichzeitig skurril. Und gleich merkt der Zuschauer: Obwohl sich da sehr pointierte, extravagante Personen auf der Bühne versammelt haben, sind es Leute wie du und ich. Gallenstein ist eben überall.In szenischen Rückblicken wird das Leben des Verstorbenen mit seiner Gattin Belinda geschildert. Erste Zärtlichkeiten beim Camping, Hochzeit, Geburten, Hausbau und das spätere Auseinanderleben. Er weilt beruflich meist in Berlin, sie erwirbt ein Kunstdiplom und verlässt letztlich ihren Kurt.Das Stück ist voller humorvoller, hintergründiger Reflexionen über das Leben und das nahende Ende. Ein Stück voller Lebensweisheit, Lebenstüchtigkeit und dem Willen, auch schlechten Zeiten etwas Gutes abzugewinnen. Oder wie die Seniorentheater-Truppe selbst sagt: «Wer zwei Drittel seines Lebens erfolgreich bewältigt hat, dabei manchen Drachen erschlagen und manches Tal durchquert hat, der muss seine Falten und Narben nicht verstecken.» Sondern darf mit gutmütigem Spott auf seine Fehler und Versäumnisse, auf seine schlechten und auch guten Taten zurückblicken.Verbitterte und frustrierte einsame SeeleUnter der Regie von Ursula Bardorf und Doris Papendieck ist dem Ensemble eine wunderbare Teamleistung gelungen. Herausragend Remo Sieber als Hauptprotagonist Kurt Oberholzer.Vor allem bei den «Standbildern» seines Lebens, eingefrorenen Szenen, während Yvonne Schultheiss als Erzählerin auf die Stationen seines Schicksals zurückblickt, brillieren er und Lilly Ganther, die seine Gattin Belinda spielt. Grossartig auch Silvia Nesensohn als Kurts Schwester Veronika Oberholzer, eine verbitterte und frustrierte einsame Seele, die unter dem Pseudonym Helen Wood erfolgreich erotische Liebesromane schreibt. Genauso grossartig spielt auch Maja Graf als verruchte Barfrau Mary, die als Einzige dem verzweifelten Kurt zur Seite steht.Für alle, die dieses Stück noch sehen wollen, ist Eile geboten. Die letzten Aufführungen finden heute Montag und morgen Dienstag statt. Es sind nur noch ganz wenige Karten unter www.diogenes-theater.ch erhältlich.Gerhard HuberHinweisMehr Fotos auf rheintaler.ch unter Bilderstrecken.

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