11.05.2022

Gabi Ceric lässt sich einsperren und lebt auf Wiboradas Spuren

Die Seelsorgerin aus Oberriet wird eine Woche lang in der Wiborada-Zelle leben. Ganz allein und ohne Ablenkung.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 02.11.2022
Gabi Ceric häkelt ein ungefähr 60 mal 90 Zentimeter grosses Tuch aus violettem Garn. In der Advents- und Fastenzeit wird es den Altar der neuen Kapelle vom Huus Feldhof decken.Die Maschen anzuschlagen und die ersten Reihen zu häkeln, sind einige der Vorbereitungen, die die katholische Seelsorgerin für eine besondere Woche trifft.Allein und eingeschlossen auf zwölf QuadratmeternMorgen Freitag lässt sie sich in der Wiborada-Zelle bei der Kirche St. Mangen in St. Gallen einschliessen. Sie ist eine der fünf Inkluserinnen, die dieses Jahr am Wiborada-Projekt teilnehmen. Jeweils eine Woche lang ziehen sich die Frauen aus dem Alltag zurück und leben alleine in einem zwölf Quadratmeter grossen Raum.Auf dem Weg in die Zelle begleiten Primarschulkinder der Religionsklasse von Maria Zäch die Seelsorgerin und nehmen am Einschliessritual teil. «Es wird ausgelost, welches Kind den Schlüssel drehen darf», sagt Gabi Ceric.An den sieben Tagen des Eingeschlossenseins wird Gabi Ceric am violetten Tuch häkeln. Meistens in der Zeit, in der sie am offenen Fenster sitzt und darauf eingestellt ist, mit Besucherinnen oder Besuchern zu sprechen. Sich nicht nur mit sich selbst zu beschäftigen und im Gebet zu verharren, sondern sich auch diesen Menschen zu widmen, ist Teil des Konzepts. Zweimal täglich (jeweils von 12.30 bis 13.30 Uhr und von 17.30 bis 18.30 Uhr) erhält die Bevölkerung die Chance, Teil der Projektes zu werden, und etwas vom kulturellen Erbe Wiboradas zu erleben. Wie einst der Heiligen reichen die Besuchenden nun den Inklusinnen Speisen und Getränke durchs Zellenfenster. Eine Mahlzeit können sich die Frauen nämlich dort nicht selbst zubereiten. Auch sonst reduziert Gabi Ceric ihre Bedürfnisse auf ein Minimum. «Ich brauche nicht viel: eine Jogginghose, ein T-Shirt und einige Toilettenartikel.»Neben dem Garn zum Häkeln und Rheinsteinen zum Bemalen hat die Oberrieterin ein Paar Wollsocken im Gepäck. Ein Pfarreimitglied hat es gestrickt, damit die Seelsorgerin in der schattigen Hütte nicht friert. Auch nimmt sie eine grosse Kerze mit. «Für jeden Menschen, für den ich bete, hefte ich einen farbigen Wachspunkt auf die Kerze.» Angst, alleine zu sein, empfindet sie nicht. «Es hat mir wohl Sorge bereitet, was wäre, falls etwas mit einem engen Angehörigen passierte.» Für diesen Fall hat sie vorgesorgt.Aufgeschlossen wird die Zelle erst wieder nach einer Woche. Am Freitag, 20. Mai, gibt Gabi Ceric den Raum der nächsten Inklusin frei. Sie selbst kann sich dann wieder frei und in der Natur bewegen.Die heilige WiboradaWiborada war die erste Frau, die in der Katholischen Kirche heiliggesprochen wurde. Trotzdem ist über die St. Galler Stadtheilige, die Einsiedlerin und Märtyrerin war, wenig bekannt. Jahrelang lebte sie als Inklusin strikt eingeschlossen in einer Zelle bei der Kirche St. Mangen. Sie blieb allerdings durch ein Fenster all jenen Menschen zugewandt, die Rat suchten. Auch die Mönche des Klosters St. Gallen kamen sie regelmässig besuchen. Dank des Kontakts und der Visionen der Heiligen wurden die Stadtbevölkerung, der Klosterschatz und die Stiftsbibliothek beim Einfall der Ungarn gerettet – Wiborada, die ihre Klause nicht verlassen wollte, bezahlte mit ihrem Leben. Sie starb am 1. Mai 926.

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