30.09.2021

Führte einst eine Römerstrasse durchs Rheintal?

Die aus römischer Zeit erhaltene Strassenkarte Tabula Peutingeriana legt die Vermutung nahe, dass auch ein linksrheinischer Weg Arbon und Chur verband.

Von Werner Ritter
aktualisiert am 03.11.2022
Die Tabula Peutingeriana ist eine mittelalterliche Kopie einer antiken Karte. Entstanden ist die Kopie vermutlich um das Jahr 1200 im weltberühmten Kloster auf der Reichenau im Bodensee. Heute befindet sie sich in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Gemäss der Tabula Peutingeriana führen von Arbon aus zwei Strassen Richtung Chur und zu den Bündner Pässen. Der Verlauf der rechtsrheinischen Strasse ist relativ gut bekannt. Sie querte bei St. Margrethen den Rhein und verlief über Bregenz nach Rankweil und dann über die St. Luziensteig nach Chur. Streckenabschnitte dieser Strasse sind auch archäologisch nachgewiesen.Zwei Strassenverläufe sind möglichDaneben ist in der Tabula Peutingeriana auch eine linksrheinische Wegverbindung von Arbon nach Chur eingezeichnet, die den Rhein nicht quert. Wo diese Strasse genau durchführte, ist bis heute unklar. Gemäss historischer Literatur gibt es zwei mögliche Verläufe dieses Wegs – wenn er denn tatsächlich durch das Rheintal führte, was ebenfalls umstritten ist. Eine Variante führt entlang der Hänge durch das Rheintal und das Werdenberg, die andere in direkter Linie durch das Appenzeller Land und über den St. Anton oder den Ruppen nach Altstätten und dann entlang der Hänge durch das Rheintal und das Werdenberg, allenfalls mit einer Abzweigung nach Montlingen und dort über den Rhein.Vorliebe für möglichst direkte TrassierungenSo schrieb Lorenz Hollenstein in der neuen Kantonsgeschichte, Band I, im Kapitel «Die Römerzeit: vicus – villa – via»: «Hierin sah man die linksrheinische Variante der Rheintalstrasse, und man postulierte unter anderem eine Römerstrasse Arbon – St. Gallen – Trogen – Altstätten – Maienfeld.» Diese Auffassung vertrat unter anderem auch Staatsarchivar F. Perret in einem Aufsatz. Ebenso wird sie durch die Tabula Peutingeriana gestützt, in der zwei Strassen von Arbon Richtung Chur ausgehen und nur eine bei «Ad Rhenum» vorbei über den Rhein führt. Weiter zeigt ein Blick in eine moderne Karte, dass diese Strassenführung der Vorliebe der Römer für möglichst direkte Trassierungen von Strassen und Wegen Rechnung trüge. Zudem ermöglichte diese Strassenführung nicht nur die Reise von Arbon über die Bündner Pässe, sondern auch durch den Walgau Richtung Osten. Johannes Freutsmiedl wies zudem nach, dass dieser Verlauf mit den Streckenangaben in der Tabula Peutingeriana übereinstimmt.Auch in den Lebensgeschichten des heiligen Gallus finden sich Hinweise auf eine solche Wegverbindung, werden doch darin Wege von Arbon nach St. Gallen und von St. Gallen nach Grabs beschrieben. Als der heilige Gallus mit dem Diakon Hiltibod auszog, benutzte er sehr wahrscheinlich einen Weg und schlug sich nicht durch die Büsche. Sonst wäre er nicht in einem Tag von Arbon nach St. Gallen gewandert.Als der heilige Gallus die kranke Tochter des Herzogs heilen sollte, floh er über den nächsten Berg nach Rätien und zwar – wie seine Lebensgeschichten berichten – durch Sennwald nach Grabs. Der nächste Weg von St. Gallen nach Rätien war aber im 7. Jahrhundert aufgrund des damaligen Grenzverlaufs über den Ruppen nach Altstätten, weil Altstätten damals noch zum rätischen Gebiet gehörte.Laut einem Wegbrief von 1470 führte eine Reichsstrasse von Montlingen über Marbach, den St. Anton und Langenegg bis zum Bodensee. Dass diese Wegverbindung offenbar von erheblicher Bedeutung war, zeigt, dass Abt Ulrich VI. von St. Gallen Kaiser Friedrich II., der über das Tirol nach Chur gelangt war, im Jahr 1212 mit einer Eskorte von Kriegern über Altstätten und den Ruppen in die Gallusstadt führte, von wo aus er ihn nach Konstanz und nach Basel begleitete. Für die Bedeutung dieser Verbindung spricht auch die Burg Hoch Altstätten, die der Sicherung dieses Weges diente. Möglicherweise geht diese Reichsstrasse auf eine ursprünglich römische Strassenverbindung zurück.Immer wieder römische Funde im RheintalOb es eine römische Strassenverbindung auf der linken Seite des Rheins gab und wo sie genau durchführte, könnte nur durch entsprechende archäologische Funde belegt werden. Römische Funde werden im Rheintal immer wieder gemacht, gerade auch in den letzten Jahren. Sie sind Indizien dafür, dass auch links des Rheins zur Zeit der Römer Menschen lebten, die auf Verkehrsverbindungen angewiesen waren. Wie diese Verkehrsverbindungen beschaffen waren, wo sie durchführten und welche Bedeutung sie hatten, ist durch die Archäologie zu klären, die Antworten liefert, wo es keine schriftliche Überlieferung gibt. Leider wurden bis anhin noch keine Reste einer römischen Strasse im Rheintal entdeckt. Das kann heissen, dass es keine solchen Reste gibt – oder, dass diese bis jetzt noch nicht entdeckt wurden.

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