06.05.2022

«Frustriert vom pietätlosen Abstimmungskampf»: Warum eine Rheintalerin gegen SVP-Mann Thomas Aeschi schiesst

Seit ihrer Transplantation setzt sich Michelle Hug für die Organspende ein. Heute tritt die gebürtige Rebsteinerin in der SRF-Arena gegen prominente Gegner an.

Von Miguel Lo Bartolo
aktualisiert am 02.11.2022
«Ein Spenderherz ist wie eine Rose mit Dornen.» Anhand dieser Metapher erklärt ein Arzt der damals 26-jährigen Michelle Hug, wie ihr Leben nach der Herztransplantation aussehen wird. Das ist zehn Jahre her. Den bildlichen Vergleich konnte die gebürtige Rebsteinerin zu jener Zeit nicht enträtseln. «Mittlerweile verstehe ich genau, was man mir damit sagen wollte.»Die Immunsuppressiva, die Hug einnehmen muss, machen sie anfälliger für Infekte. Wenn sie sich physisch überanstrengt, meldet sich ihr Körper heute noch. «Dann piksen mich die Dornen», sagt sie. Das gehöre aber dazu. Einen übervorsichtigen Lebensstil brauchte sich die 36-Jährige deswegen nicht anzugewöhnen. Das schätzt sie sehr: «Mir wurde ein zweites Leben geschenkt – und das will ich vollends auskosten.»An ihre Zeit auf der Intensivstation, unmittelbar nach der Transplantation, erinnert sich Michelle Hug nur flüchtig. «Man vergisst», sagt sie. Ein Blick in ihr Haus in Hämikon verrät aber, dass sie sich das Essenzielle bewusst in Erinnerung ruft. Ihr Garten und ihr Wohnzimmer strotzen vor Symbolik. Die wiederkehrenden Motive: Herzen und Engelsflügel. «Meine Spenderin ist mein Schutzengel», sagt sie immer wieder.Despektierliche Aussagen und pietätlose PlakateSeit langem setzt sich Hug nun schon für Menschen ein, die an einem ähnlichen Schicksal leiden. Sie tut dies etwa am Freitagabend in der SRF-Arena zum Transplantationsgesetz. Am 15.Mai befindet das Schweizer Stimmvolk über dessen Änderung. Ebenfalls auf der Pro-Seite: Bundesrat Alain Berset, FDP-Nationalrätin Regine Sauter und Franz Immer, Direktor der Stiftung Swisstransplant. Gegen das Transplantationsgesetz argumentieren Verena Herzog, Thurgauer SVP-Nationalrätin, Susanne Clauss, Co-Präsidentin des Nein-Komitees, Peter Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik an der Universität Luzern, und Thomas Gächter, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich.Hug ist gespannt auf ihren Fernsehauftritt. Die Argumente der Kontra-Seite kennt sie aus zahllosen Debatten zur Genüge. Mit den meisten davon kann sie nichts anfangen. «Sie zu widerlegen ist ein Leichtes. Man braucht nur den Abstimmungstext genau zu lesen», sagt Hug.«Fehlinterpretationen» beschäftigen sie nicht weiter. Was sie hingegen beschäftige, gelegentlich sogar frustriere, seien die mitunter «despektierlichen Aussagen und pietätlosen Abstimmungsplakate» ihrer politischen Gegner. Besonders stört sich Hug auch am Ausdruck «Ersatzteillager», der in der Debatte immer wieder fällt. Im November liess ein Editorial des umstrittenen Zuger Nationalrats Thomas Aeschi aufhorchen, in dem sich der SVP-Mann ebendieser Rhetorik bediente. Michelle Hug sagt: «Diese Analogie ist so unsensibel wie falsch.» Zum einen sei die Entmenschlichung der potenziellen Organspender und -empfänger völlig fehl am Platz. Zum anderen suggeriere man damit, dass sich die Medizin an Verstorbenen bereichern wolle.Sie kontert Tiefschläge mit FaktenUnlängst publizierte Aeschi einen weiteren Kommentar zum selben Thema. Diesmal wollte Hug die Ausführungen des SVP-Fraktionspräsidenten nicht unbeantwortet lassen. Sie verfasste kurzerhand einen Leserbrief, in dem sie zwar diplomatisch, aber alles andere als zaghaft Aufklärung anbot: «Hätten Sie sich mit der Gesetzesänderung vertraut gemacht [...], wüssten Sie, dass Ihre Darlegungen nicht der Wahrheit entsprechen.»Die Zeichen stehen gut für Hugs Sache. Gemäss einer Umfrage im Auftrag der SRG sind die Befürworter des Transplantationsgesetzes mit 61 zu 37 Prozent in der Mehrheit. Selbst wenn es dabei bleiben sollte, hat der Abstimmungskampf bereits mächtig Staub aufgewirbelt. So empfindet zumindest Hug. Erst kürzlich sei ihr etwa vorgeworfen worden, sich «für die Interessen der Linken» instrumentalisieren zu lassen. Alex Frei, Mitinitiant des Referendums gegen das Transplantationsgesetz, hat gar kurzfristig seine Teilnahme an der SRF-Arena zurückgezogen, wie «20Minuten» am Donnerstagabend berichtete. Seine Begründung: Mit einer Organ-Empfängerin in der Runde sei es schwierig, sachlich zu argumentieren. Dass sie als Direktbetroffene gelegentlich als befangen bezeichnet wird, macht ihr nichts aus. «Ich könnte dasselbe über die Gegner des Transplantationsgesetzes sagen.» Doch sie zügle sich, bleibe lieber bei den Fakten – «und die sprechen eine ziemlich klare Sprache».

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