02.08.2019

Frölein Lerari

Aus dem Fernsehen fliessen immer mehr hochdeutsche Begriffe in unsere Mundart.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleMit mir ist eine ganze Generation mit dem st. gallischen Lesebüchlein vertraut gewesen. Im Jahre 1959 kam ich in die erste Klasse und durfte im Oberied bim Frölein Learari lesen lernen. Viele erinnern sich gut an die erste Seite des damaligen Büchleins. Da stand in grossen Buchstaben «Rösli auf. Paul auf.» Darüber die Zeichnung mit der Mutter, die gerade die zwei Kinder weckt. Damals war klar, dass die Mutter im Haushalt tätig war. Es wäre unvorstellbar gewesen, dass im Läasibüachli ein Bild erschiene, auf dem ein Vater die Kinder wecken würde. Die Mutter führte den Haushalt, der Vater arbeitete i da Purarei oder auswärts; aber keinesfalls in einem Büro. Das Leben war bäuerlich geprägt und so war das ganze Läasibüachli.Gute Stimmung überallIm aalta Läasibüachli kommen vorwiegend schöne und liebevolle Szenen vor. Hier ist es der kleine Bub, der offensichtlich gern aufsteht und sich freut, dass die Mama in die Kammer kommt. Im anderen Bett liegt Rösli und pfuusat wittar. Damals kannte man noch ein Oberlein- und ein Unterleintuch. Vom nordischen Schlafen wusste man nichts. Im Winter hatte man ein Baarchat-Linntuach, das warm gab. Man benütze ein Kopfküssi und an Pfulba (Pfulmen). Es gab an Obarmadratz und an Undarmadratz. A da Kopfata wurde die Madratz mit mana Keilküssi unterlegt, damit der Kopf höher lagerte. S Hääss legte man neben dem Bett auf einen Stuhl. Erst am Sonntag oder am Montag gab es wieder frische Wäsche. In vielen Familien waren nicht genug Better für die Kinderschar vorhanden. So schlief halt mengmol an Goof oban im Bett und oan a da Fuassati.Schuhe und Kleider häadma nootreed. Die Jüngeren übernahmen die gebrauchten Sachen der älteren Geschwister. Auf Ostern gab es für jene, die nünt zum Nooträäge verordnet bekamen, neue Schuhe. Waren die Schuhe kabutt, brachte man sie zum Schuamachar. Er flickte sie. Die Kleider hingegen flickte die Mutter selber. Sie häad püatzt. Das Wort büaza ist am Verschwinden. Heute sagen auch junge Oberiedner naija.Kürzlich sagte mir eine Frau aus Oberriet, sie heii era sis Gschiar gschpüalt. Mir wäre das reine Spülen zu wenig, bei mir muss es noch abgwäscht wäara und nicht nur gespült. Heute kann man erkennen, dass auch bei uns d Abwäschmaschina immer häufiger als Spüalmaschina bezeichnet wird. Solche Veränderungen in unserer Mundart sind auf das Fernsehen zurückzuführen. In Sendern Deutschlands – sei das in Krimis oder in den Nachrichten – kommen hochdeutsche Begriffe vor, die in unsere Mundart einfliessen. Häufig hört man heute das Wort Spüaltroog. Früher hiess das Schüttstoa. In den alten Küchen war der kleine Trog in der Küche wirklich aus Stein, mit einem Abfluss hinaus aus der Küche in das Freie. Im Bazimmar hatte man an Apideaggarkäschtli.As gid FrüaschtückAuf unserem Bild könnte die Mutter gesagt haben: «Stand uuf, da Ribil ischo featig.» Noch in den Sechzigerjahren war der Ribil zum Zmoarga im Oberied das normale Essen. Man sagte Zmoarga und nicht etwa Früa-stück, wie heute viele Leute sagen. Wenn es nicht Ribil war, so gab es Broad. Von Cerealien und Kellogsflocken hatte man noch keinen Dunscht. Wenn es Broad gab, strich man Butter drauf. In Deutschland schmiert man den Butter. Das Wort schmieren hört man immer häufiger bei uns. Wiederum ein Beispiel, wie hochdeutsche Wörter in unsere alemannische Sprache kommen. Ufs Buttar häapma no Hunk gstreacha. Das Wort Hunk wird selbst im Oberied aussterben. Denn immer häufiger spricht man von Ggomfi. Es gibt zudem den Iimahunk. Auch dieses Wort dürfte aussterben. Junge Menschen reden von Honig. Interessant aber ist, dass das Verb hunka verbreitet ist und wohl bleibt. Für Ggomfi-Machen gibt es halt kein Mundartwort. Es müsste wohl gomfiara hoassa. Ein weiteres Wort ist da Schlegil, der aussterben wird, weil er durch a Fläscha ersetzt wird. Junge Leute reden von einem Kaschta Bier und nicht mehr von einem Harass oder von einer Kischta Bier. Wiederum ist das Fernsehen und der hochdeutsche Einfluss die Ursache für diesen Wörterwandel.

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