09.09.2021

Freispruch gegen das Bauchgefühl

Ein Serbe, der Arbeitslosengelder bezog, verschwieg Einkünfte. Es habe sich um ein Hobby gehandelt.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert Bruderer Die Staatsanwaltschaft warf dem 48-jährigen Mittelrheintaler vor, betrogen (oder zumindest unrechtmässig Leistungen bezogen) zu haben. Ausserdem hatte die Polizei in der Nachttischschublade des Mannes eine ungeladene Pistole, 45 Patronen sowie zwei Magazine gefunden, in denen je fünf Patronen steckten.Seit dem knappen Jahr, in dem der Serbe unrechtmässig Gelder einer Sozialversicherung bzw. der Sozialhilfe bezogen haben soll, sind über vier Jahre vergangen. Längst arbeitet der Mann wieder. Pro Monat verdient er 5300 Franken, inkl. Kinderzulagen.Mindestens 4000 Franken nicht angegebenDie Staatsanwaltschaft warf dem Serben vor, von Juli 2016 bis Mai 2017 insgesamt 38000 Franken von der Arbeitslosenkasse bezogen zu haben und vor jeder monatlichen Auszahlung auf dem entsprechenden Formular eine falsche Angabe gemacht zu haben. Sowohl die Frage, ob er bei einem oder mehreren Arbeitgebern gearbeitet habe, als auch die Frage, ob er eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, beantwortete er mit Nein.Tatsächlich hat er jedoch Einkünfte erzielt – mit Updates auf Geräten aus der Unterhaltungselektronik (Set-Top-Boxen), PC-Installationen und Webhosting. In der Anklageschrift heisst es, der Beschuldigte habe so ein nicht deklariertes Einkommen von 42500 Franken erworben, «mindestens jedoch die eingestandenen 4000 bis 6000 Franken».Für den Serben hatte die Staatsanwaltschaft eine bedingte Freiheitsstrafe von sieben Monaten gefordert, bei einer Probezeit von zwei Jahren, aus-serdem eine Busse von 1000 Franken. Angesichts des Delikts sei eine Landesverweisung obligatorisch, wobei die Staatsanwaltschaft fünf Jahre als angemessen bezeichnete.Keine Strafe wegen Betrugs, keine LandesverweisungAls der Angeklagte arbeitslos war, deklarierte er zwar zweimal einen Zwischenverdienst, jedoch nie die Einkünfte aus den beschriebenen Tätigkeiten. Er begründete dies damit, dass auf dem Formular nicht nach Einkünften gefragt werde, die einem Hobby entsprängen. Er habe abends und an Wochenendenden in seinem Bekanntenkreis gewisse Dienste geleistet, jedoch niemals in der Absicht, unrechtmässig Geld zu verdienen. Vielmehr habe er sein Wirken als besondere Anstrengung erachtet, seiner damals sechsköpfigen Familie mit schwer behindertem Kind bestmöglich zur Seite zu stehen. Eigenartig fand der Richter, dass der Serbe eine Versteuerung der Einkünfte als nötig erachtet habe, die Deklaration gegenüber der Arbeits-losenkasse dagegen nicht. Die Gerichtsverhandlung fand am Mittwoch in Altstätten statt.Der amtliche Verteidiger des Angeklagten forderte einen Freispruch. Dass sein Mandant zu Unrecht Leistungen bezogen habe, sei nicht erwiesen, sagte er. Tatsächlich konnte die kantonale Arbeitslosenkasse trotz zweimaliger Nachfrage nicht sagen, ob ihr ein Schaden entstanden sei. Aber «wer, wenn nicht sie, soll das können?», pflichtete der Richter dem Verteidiger bei. Auch die Staatsanwaltschaft konnte es nicht. Zu klären wäre ohnehin, ob die zusätzlichen Einkünfte als Nebenverdienst oder als Zwischenverdienst gelten. Denn anders als ein Zwischenverdienst hat ein Nebenverdienst keine Auswirkung auf die Höhe des von der Arbeitslosenkasse ausbezahlten Betrages.Bauchgefühl sagt, «etwas könnte nicht stimmen»Das Gericht sprach den Serben vom Vorwurf des Betrugs bzw. des unrechtmässigen Bezugs von Arbeitslosengeldern frei. Der Richter bezeichnete es aber als «recht unbefriedigend», dass die Frage nach einer Schädigung der Arbeitslosenkasse nicht geklärt worden sei. Das Bauchgefühl deute halt schon darauf hin, dass «da etwas nicht stimmen könnte», doch das reiche nicht für einen Schuldspruch. – Und somit auch nicht für eine Landesverweisung.Hingegen wurde der Angeklagte wegen des Waffenbesitzes schuldig gesprochen. Der Serbe hatte erklärt, er habe die Pistole samt dem Zubehör vom Mann einer Tante kurz vor dessen Tod erhalten. Er sei an dieser Waffe gar nicht interessiert gewesen, habe alles in der Schachtel gelassen, in die unterste Nachttischschublade getan und die Pistole dann vergessen. Dass er etwas Verbotenes getan habe, sei ihm nicht bewusst gewesen.Der Richter fand diese Schilderung «nicht ganz einleuchtend». Hätte der Angeklagte die Waffe, wie er sagte, nicht haben wollen, hätte er sie ja nicht behalten müssen. Jedenfalls wäre die Klärung, ob der Besitz einer Pistole erlaubt sei, «leicht und zumutbar» gewesen. In dieser Sache widersprach er dem Verteidiger, der «höchstens fahrlässiges» Handeln erkannte und von einer inzwischen verjährten Übertretung sprach.Der Angeklagte wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 5600 Franken verurteilt. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Die Kosten des Verfahrens hat der Serbe zu einem Viertel (ca. 3200 Franken) zu übernehmen.

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