12.08.2022

Frau für getötetes Reh verurteilt

Bei einem Spaziergang hetzte ein Hunderüde ein Reh und tötete es. Seine Halterin verhinderte den Angriff nicht.

Von Adrian Lemmenmeier-Batinić
aktualisiert am 02.11.2022
Auf dem Rheindamm bei Lienz liegt Schnee. Zwei Freundinnen spazieren mit drei Hunden zwischen Fluss und Autobahn. Keines der Tiere ist an der Leine. Die Frauen unterhalten sich. Dann geht es schnell: Ein Hund wittert ein Reh, büxt aus, hetzt das Tier in einen Hain aus Jungbäumen unten am Fluss. Das Areal ist von einem Zaun begrenzt. Das Reh hat keine Fluchtmöglichkeit. Der Mischling beisst zu.Während die Rehgeiss um ihr Leben kämpft, stehen die beiden Frauen oben an der gut sechs Meter hohen Böschung, keine 50 Meter vom Kampfplatz entfernt. «Komm», ruft die Halterin ihrem Hund zu. «Hierher.» Vergeblich. Dann verständigt sie die Polizei und ihren Ehemann. Als dieser ankommt, steigt er den Hang hinunter, nimmt den Hund zu sich. Das Reh ist tot. Am Hinterteil fehlen Fell, Haut und Fleisch. Der Hund hat gemäss Anklageschrift minutenlang von seiner Beute gefressen.Aus Tierliebe nicht eingegriffen?Im gut klimatisierten Saal des Kreisgerichts Rheintal lässt sich die Besitzerin des Hundes die Anklage vorlesen. Das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt, schüttelt sie ab und an entschieden den Kopf. Die 57-Jährige, die, wie sie sagt, bis zur Rente von zwei bis drei Millionen Franken Vermögen lebt, hat einen Strafbefehl erhalten wegen vorsätzlicher Tierquälerei und der unerlaubten Tötung eines Tieres. Da sie ihn nicht akzeptiert, sitzt sie nun vor dem Einzelrichter. An der Verhandlung stehen zwei Fragen im Vordergrund: Hätte die Frau mit einem Angriff ihres Hundes auf ein Reh rechnen müssen? Und hätte sie eingreifen müssen, als ihr Hund das Reh jagte, um den qualvollen Tod des Tieres zu verhindern – oder zumindest dessen Leid zu lindern?Die Beschuldigte verneint. «Ich spaziere seit Jahren am Rheindamm und habe dort nie ein Reh gesehen.» Ausserdem sei es ihr nicht möglich gewesen, in nützlicher Frist zum Tatort zu gelangen. «Das Bord war steil und vereist.» Und schliesslich sei es gefährlich, dazwischenzugehen, wenn ein Hund seinen Jagdtrieb auslebe.Ausserdem habe sie gedacht, es sei besser für das Reh, wenn der Hund es schnell töte, als wenn es schwer verletzt auf ei­nen Erlösungsschuss durch die Polizei warten müsse. Sie sei eine tierliebende Person und habe sicher nicht gewollt, dass das Reh leide.Für Staatsanwältin Lea Ochsner ist das Fehlverhalten eindeutig. «Wer seinen Hund nicht von einem Angriff abhalten kann, soll keinen Hund halten.» Die Beschuldigte habe um den Jagdtrieb ihres Lieblings gewusst. Denn dieser hatte vor sechs Jahren schon einmal ein Reh totgebissen (was ohne rechtliche Konsequenzen blieb). Sie habe den qualvollen Tod des Tiers in Kauf genommen. Gemäss Amt für Natur, Jagd und Fischerei ist am Rheindamm mit Rehen zu rechnen. Nicht zuletzt sollte der Zaun, der für das Reh zur To­desfalle wurde, Jungbäume vor Wildtieren schützen.Verteidiger Daniel Kaiser hingegen fordert den Freispruch. Seine Mandantin hätte den Tod des Rehs auch dann nicht verhindern können, wenn sie zum Ort des Geschehens hinuntergestiegen wäre, argumentiert er. Ausserdem könne man der damals 56-jährigen Frau nicht zumuten, einen vereisten Hang hinunterzurutschen und sich beim Abhalten ihres Hundes womöglich selber zu gefährden. Eine Leinenpflicht gebe es auf dem Rheindamm nicht. Und der Hund habe seiner Halterin in den letzten Jahren stets gut gehorcht. Sie habe keinen Grund gehabt, anzunehmen, dass er auf ihre Rufe nicht reagieren würde.Der vorsätzlichen Tierquälerei schuldigEinzelrichter Mark Schärz folgt weitgehend den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Er spricht die Hundehalterin der vorsätzlichen Tierquälerei sowie der Tötung eines Tieres ohne Berech­tigung schuldig. Sie erhält eine bedingte Geldstrafe von 3400 Franken (40 Tagessätze) bei ei­ner Probezeit von zwei Jahren. Dazu muss sie 300 Franken Busse und 2650 Franken Verfahrenskosten zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.Und der Hund? Seine Besitzerin hat dem zuständigen Jäger am Tatort vorgeschlagen, ihn an Ort und Stelle zu erschiessen. «Ein Reh zu töten, ist für mich ein No-Go», sagt sie vor Gericht. Das Gesetz sieht indes keine derartige Sanktion vor. Der rückfällige Rüde darf aber nur noch an der Leine Gassi gehen.

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