30.07.2021

Flurin hat’s auf den letzten Zacken geschafft

Heute schliesst der stationäre Bereich des Spitals Heiden. Vier Mitarbeitende reden über den speziellen Geist des Hauses und ihre Zukunft.

Flurin erblickte als letztes Baby im Spital Heiden das Licht der Welt. Mutter Beatrix Koller aus Gais sagt: «Ich bin glücklich, hat es auf den letzten Zacken geklappt. Hebamme Madeleine Grüninger hat Flurins Geburt am Dienstag begleitet. «Heiden hat früh die alternative Geburtshilfe praktiziert», nennt sie eine Besonderheit der Vorderländer Geburtenabteilung. Diese geniesst einen guten Ruf weit über das Appenzellerland hinaus. Knapp 260 Kinder wurden hier 2021 geboren, über 15 000 seit 1988. Doch in den vergangenen Wochen musste Madeleine Grüninger viele Gespräche mit werdenden Müttern führen. Es ging darum zu klären, wo sie gebären werden, da es terminlich in Heiden nicht mehr möglich sein würde. «Herisau, Grabs oder Kantonsspital St. Gallen, diese drei Alternativen wurden von je einem Drittel der Frauen gewählt.»Geburten, Operationen, Pflege: Ab heute ist das Geschichte am Spital Heiden. Der Ausserrhoder Spitalverbund (Svar) schliesst per Ende Juli die stationäre Abteilung des Vorderländer Standortes, weil die Anzahl der Patienten stark zurückging und viele der 180 Mit-arbeitende eine Anschlusslösung gefunden haben. Geplant war die Schliessung ursprünglich per Ende Dezember, nun ging es ganz schnell. Für manche wohl zu schnell. Das vorzeitige Aus wurde vor gut zwei Wochen kommuniziert.Claudia Eisenhut, Pflegefachfrau und Stillberaterin, sagt mit tränenglänzenden Augen: «Die Kollegialität war einzigartig, das nehme ich im Herzen mit.» 18 Jahre hat sie hier gearbeitet, «Urzeiten», nennt sie es. Worte zu finden für die «eigene, spezielle» Stimmung am Spital Heiden sei schwierig. Immer habe man jemanden gefunden, der helfend einsprang, nur in Heiden habe sie das so unkompliziert erlebt. Nun brauche sie eine Auszeit, beziehe Ferien und kompensiere Überzeit. In vier Monaten wird sie ans Spi-tal Herisau wechseln. Claudia Eisenhut hadert nicht, Veränderungen könnten auch eine Chance sein. «Wichtig ist mir die Betreuung der Menschen, egal in welchen Räumen.»Für Assistenzärztin Irina Kasiman geht es bereits nach einer Woche Ferien in Herisau weiter. Die Marbacherin nimmt dafür einen deutlich weiteren Arbeitsweg in Kauf. Gerne hätte sie weiter in Heiden gearbeitet, nicht zuletzt wegen des Teams.Madeleine Grüninger wird am Spital Herisau Teamleiterin des Wochenbetts. Geschätzt habe sie in Heiden das Persönliche, das Familiäre. Die Überschaubarkeit – für Patienten und Mitarbeitende ein grosses Plus, für die Wirtschaftlichkeit das entscheidende Minus. Schweizweit werden kleine Spitäler geschlossen. «Was sie auszeichnet, bringt kein Geld», sagt Madeleine Grüninger.Die meisten Patientenzimmer stehen leer. «Nur ein Patient muss nach Herisau verlegt werden», sagt Alain Kohler, Leiter Kommunikation des Svar. In den vergangenen Wochen seien in Heiden nur Patienten aufgenommen worden, deren Austritt per Ende Juli realistisch war. Der Abbau der Leistungen sei gut verlaufen. Bereits Anfang Juli wurde die Bettenstation im zweiten Stock geschlossen. Innere Medizin und Chirurgie zogen in den ersten Stock, wo sich auch die Geburtenklinik befindet.«Jetzt wird es konkret: Immer mehr Mitarbeitende bringen ihre Schlüssel zurück», sagt Gallus Seitz vom Technischen Dienst. Seit 32 Jahren arbeitet er im Haus. Abschiede häufen sich, viele davon seien emotional. Tausende Gegenstände wurden inventarisiert«Im kleinen Spital kennt man sich, ist per Du, auch mit Chefärzten, es herrschte ein spezieller Geist», betont Gallus Seitz. Er hatte viel zu tun in den letzten Wochen. Tausende Gegenstände wurden inventarisiert, mit grünen Nummern versehen. Was in Herisau gebraucht werden kann, wird nach und nach dorthin transportiert. Auch Verbrauchsmaterial wie Infusionen, Binden oder Verbände. Nächste Woche findet in den Räumlichkeiten des Spitals Heiden eine Begehung mit Personal aus beiden Häusern statt. «Dabei schauen wir auch, welches Gebärbett allenfalls in Herisau passt», sagt Madeleine Grüninger. Die 60 Patientenbetten bleiben vorerst im Haus. «Es gibt für diverse Objekte Anfragen von Hilfswerken», sagt Alain Kohler. Bis klar ist, wie das Gebäude künftig genutzt wird, würden aber keine Zusagen gemacht.Gallus Seitz wird die Arbeit in den nächsten Monaten nicht ausgehen. Er wird das Gebäude in Schuss halten und ist dafür ab 2022 beim kantonalen Amt für Immobilien angestellt. Ambulante Behandlungen werden bis auf Weiteres und längstens bis Ende Jahr angeboten. Die Notfallstation des Spitals ist ab Sonntag täglich jeweils von 8 bis 18 Uhr in Betrieb.Mutter und Kind sind gestern ausgetretenEs ist ruhig in den Gängen im ersten Stock. «Wo sind die Vasen?», fragt eine Frau, die aus dem Familienzimmer tritt. Sie hat Andrin nach Heiden gebracht, der seine Mutter und den kleinen Flurin besucht. Der Achtjährige hat einen grossen Blumenstrauss mitgebracht, ist sichtlich stolzer grosser Bruder. «Das Team der Geburtsabteilung Heiden ist sehr familiär und unkompliziert, das habe ich geschätzt», sagt Beatrix Koller. Gestern gegen Mittag ist sie mit Flurin ausgetreten – als eine der letzten. Mea Mc Ghee

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