30.08.2022

Flugsicherheit beginnt am Boden

Skyguide kontrolliert den Flugverkehr. Im Tower heisst es volle Konzentration. Gewitter können den Verkehr am Himmel stoppen – Möwen, Schwäne oder Drohnen auch.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Als Flugverkehrsleiter Andy Wirth von einer Schwanenparty spricht, die letztes Jahr ein wenig weiter östlich, irgendwo am See, im Gange war, beschreibt er mit dem zweiten Teil des Substantivs – der Party – unbewusst den Grund für den Besuch im Tower. Das Flugsicherungsunternehmen Skyguide feiert dieses Jahr das hundertjährige Bestehen. Feiern liesse sich jedoch am Ende jeden Jahres, immer aus dem gleichen Grund: Und wieder 30000 Flugbewegungen in Altenrhein erfolgreich überwacht!Das heisst nicht, dass ein Unglück ausgeschlossen ist. Erst kürzlich, am Ende des vierten Monats im Jubiläumsjahr, stürzte ein Kleinflugzeug in den See. Es war ein technischer Defekt. Der 72-jährige Pilot verlor das Leben. Das ist tragisch. Aber Skyguide hatte «nichts zum Unfall beigetragen», wie Max Mumenthaler sagt. Er ist im Tower Altenrhein der Chef eines zehnköpfigen (teils auch in Zürich tätigen) Teams, in dem zwei Frauen mitarbeiten.Jemand wollte startendes Flugzeug von vorn filmenDoch zurück zur Schwanenparty. Unterwegs zu dieser, tauchten unverhofft aus Richtung Staad zwei Schwäne auf und überflogen tief die Piste. Ein Pilot am Ende dieser Piste, der gerade starten wollte, musste warten.Mehrmals jährlich werden Knallpetarden eingesetzt, vor allem wegen Möwen, die es zu verscheuchen gilt, doch auch ein Schwanenschwarm war zu vertreiben. Drohnen sind hingegen kein Problem. Das liegt zum Teil daran, dass in der Rorschacher Bucht ein Drohnenverbot gilt, andererseits hat der Flughafen Altenrhein als erster Flugplatz der Schweiz ein Drohnendetektionssystem. Taucht eine Drohne auf, wird auf dem Bildschirm gleich Alarm geschlagen.Die Herstellfirma hat Altenrhein als Flughafen für ihr Pilotprojekt ausgewählt.«Tests zeigen immer wieder, dass es klappt», erklärt Max Mumenthaler. Dennoch gibt es Dinge, die man nicht für möglich hielte. Ein paar Jahre ist es her, dass jemand im Westen der Piste, direkt in der Verlängerung, eine Drohne steigen liess, als gerade ein Verkehrsflugzeug den Ort verlassen wollte. Ein Flugbegeisterter hatte doch tatsächlich den Plan, diesen Airliner beim Start mit der Drohne von vorne zu filmen. Die Flughafensecurity rückte sofort aus und stoppte den Mann, der beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) verzeigt wurde.Ein makelloses Zeugnis stellt der Chef dagegen der Modellfluggruppe aus, die in der Nähe ihre eigenen Maschinen steigen lässt. Die Clubmitglieder zeichneten sich durch ein mustergültiges Verhalten aus, Probleme habe es noch nie gegeben.Viele Flugzeuge tauchen unangekündigt aufDer Arbeitsalltag der Flugverkehrsleiter und -leiterinnen verläuft in aller Regel unspektakulär. Linien- und Charterflugzeuge, kleinmotorige Maschinen, Segelflieger, Businessjets und Fallschirmspringer sind am Himmel unterwegs. Der Flugbetrieb ist ungleichmässig. Täglich sind im Durchschnitt 86 Flugbewegungen zu verzeichnen, doch es können auch 300 sein. Sich abwechselnde, stark unterscheidende Phasen sind typisch für einen Regionalflugplatz.Auf dem Flughafengelände sind etwa hundert Flugzeuge und 18 Hubschrauber stationiert, darunter 14 Übungshelikopter. Businessjets bilden seit 15 Jahren das Hauptgeschäftsfeld, das weiter wächst.An zwei identischen Arbeitsplätzen mit insgesamt sieben Bildschirmen können die Flugverkehrsleitenden sehen, wer abfliegt und landet, jede Flugbewegung ist ersichtlich und die Daten jedes Flugzeugs (etwa Höhe und Geschwindigkeit, Steig- und Sinkrate) sind stets einsehbar; auch der Flugverkehrsleiter kann die im Cockpit vorgenommenen Einstellungen sehen. Mit den Planungen befasst sich die Flugsicherungsorganisation Eurocontrol in Brüssel, die eine zu starke Beanspruchung der Lufträume vermeidet. Von den Flugbewegungen in Altenrhein sind 70 Prozent ungeplant. Das heisst: Pilot oder Pilotin tauchen unangekündigt mit ihrem Flugzeug auf und melden sich per Funk.Grenze überfliegen kostet LärmpunkteKurz vor zwei Uhr nachmittags, an einem Mittwoch, ist es völlig ruhig im Tower. Wenig später hat Andy Wirth innerhalb von fünf Minuten «acht Flieger auf der Frequenz», die sich teilweise noch ausserhalb der Kontrollzone befinden. Fünf von ihnen wollen landen, die anderen starten. Die Kontrollzone erstreckt sich zwanzig Kilometer Richtung Westen, fünf nach Osten und je drei nach Süden und nach Norden. In der Höhe sind es 5500 Fuss, also rund 1800 Meter. Wer starten, landen oder die Flughafen-Kontrollzone durchfliegen möchte, hat den Tower anzufunken und die Freigabe abzuwarten. Die Kommunikation erfolgt zu 99 Prozent auf Englisch, deutsche Hobbypiloten verfügen teils nur über eine deutsche Fluglizenz.Andy Wirth bemerkt, seine Aufgabe «kann rasch komplex werden» – wegen der Anordnung der Rollwege sowie der Piste, aber auch wegen der Nähe zu Österreich. Diese Nähe hat zur Folge, dass für einen Überflug ausländischen Territoriums Lärmpunkte zu verrechnen sind. Pro Tag besteht ein Kontingent von höchstens 100000 Punkten. Paradoxerweise werden durch ein kleinmotoriges Propellerflugzeug 9000 Punkte beansprucht, während ein Jet nur 2500 Punkte «verbraucht». Ist das Kontingent ausgeschöpft, darf am betreffenden Tag das österreichische Gebiet nicht mehr überflogen werden. Unter Umständen muss ein Pilot wegen der geänderten Anflugstrecke mit dem Wind im Rücken landen, so dass die Regelung mit den Lärmpunkten folgendes Schlagwort hervorbringen kann: Politik gegen Sicherheit.[caption_left: Vom Tower lässt sich das ganze Flughafenareal überblicken.]Am ehesten erfährt der geregelte Flugbetrieb durch Gewitterzellen eine Störung. Diesen Frühsommer war zweimal ein so genannter Handling-Stop nötig. Damit ist gemeint: Niemand besteigt oder verlässt ein Flugzeug. Der Betrieb steht still, bis die Gefahr vorüber ist. Eine derartige Zwangspause kann eine Kettenreaktion zur Folge haben, die sich über den ganzen Tag zieht, doch ein Regionalflughafen wie Altenrhein hat viel eher die Möglichkeit, Verspätungen aufzuholen.Gibt es Menschen, die – wie Autofahrerinnen oder Autofahrer ohne Billett – ein Flugzeug steuern, obschon sie es nicht dürften? Letztes Jahr, erzählt Max Mumenthaler, habe ein anfliegender Hobbypilot bei sehr schlechtem Wetter auf Instrumentenflug wechseln wollen. Weil sein Verhalten beim Zürcher Flugradar sehr eigenartig gewesen sei, habe er den Mann nach dessen Landung kontrolliert. Es zeigte sich: der Mann verfügte über keine Fluglizenz für Instrumentenflug und über keine Funklizenz für die Verständigung auf Englisch. Der Pilot wurde beim BAZL verzeigt. Die Sicherheit, die Skyguide garantiert, beginnt nicht erst am Himmel, sondern schon am Boden.

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