Gert BrudererIn Balgach, an der Gemeindeversammlung im Herbst, hatte der Brief eines Fünftklässlers zum Schmunzeln veranlasst. Unterstützt von vierzig Kameradinnen und Kameraden, sprach der Bub sich dafür aus, die Ufzgi abzuschaffen.Der Brief fand, wie der Schüler es sich wünschte, den Weg zum St. Galler Vorsteher des Bildungsdepartements, Stefan Kölliker. Dieser habe auch höchstpersönlich geantwortet, hiess es in dieser Zeitung, es sei aber nicht bekannt, ob der dem Schüler die Hausaufgaben erliess.Auch Sechstklässler aus Diepolds- au haben die Initiative ergriffen, ihr Anliegen zuerst in der Schule vorgebracht und ebenfalls einen Brief ins Regierungsgebäude geschickt.Stefan Kölliker: «Bin die falsche Person»In seiner Antwort an die drei Buben aus Diepoldsau, die mittlerweile die Oberstufe besuchen, bezeichnet Stefan Kölliker die vorgebrachten Argumente als «verständlich». Doch im Lehrplan sei zu lesen, Hausaufgaben unterstützten den Lernprozess und ermöglichten den Eltern einen Einblick in den Schulalltag.«Ich bin die falsche Person, um euch eine zufriedenstellende Antwort zu geben», schrieb der Regierungsrat. Denn Hausaufgaben gehörten seines Erachtens zur Schule. Sein Ziel sei nicht der Verzicht auf Hausaufgaben. Vielmehr wünsche er sich sinnvolle Hausaufgaben, von denen die Kinder sich herausgefordert sehen, die sie interessieren – und die sie selbstständig erledigen können.Die Zeit «gescheiter nutzen»Neun Argumente gegen Ufzgi hatten Gil Spirig und zwei seiner Kollegen vorgebracht. Darunter diese: Hausaufgaben schmälerten die Freizeit, seien nicht anregend, liessen einen Bildungswert vermissen, seien unbeliebt (was übersetzt wohl heisst: der Sinn bleibt unerkannt), der Thek sei voll mit Büchern und oft allzu schwer. Und, ausserdem: Von der Arbeit nimmt man die Sachen auch nicht nach Hause mit.Anstatt für Hausaufgaben liesse sich die Zeit gescheiter nutzen, finden die jungen Abschaffungsinitianten. Für Sport, Musik, Hobby – für kreative Betätigung. Im Bildungsdepartement ist die Sache vom Tisch, für die Schule in Diepoldsau nicht. Denn Schulpräsident Patrick Spirig sieht einen Lerneffekt, wenn Kinder das wichtige Alltagsthema differenziert behandeln.Gil Spirig spielt E-Gitarre. Seine Eltern, Karin und Tobias, sind als Mitglieder der Band Súmmarvoogìl für ihre Mundart-Kinderlieder bekannt, Tobias Spirig ist Musiklehrer. Er sagt: «Dass Gils Bruder in der dritten Klasse mehr Hausaufgaben hat als Gil in der ersten Sek sollte nicht sein, ist aber kein Diepoldsauer Phänomen.» Ein anderes Problem sei die Unüberprüfbarkeit. Ob das Kind selbst die Aufgaben löst, bloss alles abschreibt oder sich im Delegieren übt, indem es die Eltern die Ufzgi erledigen lässt, kann der Lehrer nicht wissen. Klar ist aber: Elterlicher Übereifer, den Kindern die Last ganz oder teilweise abzunehmen, ist ziemlich verbreitet.Gil Spirigs Idealvorstellung ist, dass alles Schulische bereits erledigt ist, wenn er nach Hause kommt. Daheim zu machen, was er in der Schule schon geübt, vielleicht bereits vertieft und auch verstanden habe, hält der Bub für überflüssig. Ginge es nach ihm, würde zusätzliche Zeit in der Schule verbracht, die selbstständigem Lernen diente und die elterliche Mitarbeit verhinderte. Die Mutter sagt: «Kommt ein Erwachsener am Abend heim, so hat er Feierabend.» Hausaufgaben, die den Kopf auch noch daheim «zum Rauchen bringen», rechnet sie nicht den erstrebenswerten Dingen zu.Ufzgi sollten sinnvoll seinSelbstverantwortung, lautet ein wichtiges Stichwort, das im Gespräch mit der Familie fällt. Am Kind oder am Jugendlichen liege es, Vokabeln nach und nach und mit der nötigen Beharrlichkeit zu lernen, um im Englisch- und Französisch-Unterricht erfolgreich zu bestehen.Die Beschäftigung mit dem Thema hat Gil eine Einsicht beschert: Sind Aufgaben sinnvoll, kann auch die Einstellung stimmen, «dann bringen sie etwas». Ein liebloses Arbeiten aber sei nutzlos.Schulpräsident Patrick Spirig (der mit der Familie trotz des identischen Nachnamens nicht verwandt ist) bringt die Sache auf den Punkt, indem er meint: «Gelingt es, Schüler zu begeistern, tun sie mehr, als nötig wäre.» In einem konkreten Fall hätten Schüler interessiert zu recherchieren begonnen und somit Hausaufgaben gemacht, die sie gar nicht als solche empfunden hätten. Auch das Beispiel eines Jugendlichen, der Latein hat, nennt der Präsident. Der habe festgestellt: Ganz ohne Hausaufgaben geht es nicht.Wiederkehrende DiskussionBei einer Umfrage der Altstätter Schule im Jahr 2015 gaben 85 Prozent der Eltern an, mit dem Umfang der Hausaufgaben zufrieden zu sein. In einem Papier der Altstätter Oberstufe heisst es, die Jugendlichen sollen dank der Hausaufgaben «vor allem lernen, ihre Arbeitszeit, die erlernten Arbeitstechniken und die ihnen bekannten Hilfsmittel angemessen und selbstständig einzusetzen». Der schriftlichen Regelung war eine Diskussion vorausgegangen, wie sie auch andernorts geführt wird, immer wieder.Die Diskussion über die Frage, wie viel Hausaufgaben sinnvoll seien, bezeichnet der Diepoldsauer Schulpräsident als unausweichlich. Patrick Spirig findet ausserdem den Einbezug der Schüler sinnvoll, wenn diese dies wünschten. Es seien deshalb nicht nur Lehrer, Schulleitung und Schulrat am Ball, sondern auch der Schülerrat.Dass es ohne Ufzgi aber auch in Diepoldsau nicht gehen wird, stellt Patrick Spirig klar. «Selbst wenn wir wollten», sagt er, «würden wir auf Widerstand von Eltern stossen.»