Ein lauer Vorsommerabend: Ein Abendspaziergang bietet sich an, der blühende Garten lockt, genauso wie im Haus der Büchervorrat oder die angelegten Listen bei den Streamingdiensten im Fernsehen. Lockdown- Freizeitaktivitäten, die nach den letzten Wochen bereits automatisch vor dem inneren Auge auftauchen bei der Überlegung, wie die Restzeit des Tages verbracht werden könnte. Erklärbar darum der Widerwille, sich nochmals aufzumachen zum sozusagen beruflich verordneten Feierabendbier.Jeder winkt, sagt hallo, ist aufmerksamNach der geisterhaften Stille, die abends jeweils Einzug hielt, fällt als erstes auf: Es herrscht wieder etwas Leben. In der «Sitegass» sitzen die Gäste breit verteilt um die zwei Tische – nicht mehr als vier, wie gesetzlich vorgeschrieben, zwei sitzen deswegen drinnen. Jeder winkt, sagt hallo, ist aufmerksam. Die Stimmung ist angenehm, die Diskussionen haben Gehalt. «Es hat mich natürlich sehr gefreut, wieder aufmachen zu können. Die Gäste kamen vom ersten Tag an wieder und bestätigten ihre Freude, wieder einmal eins auswärts trinken zu können», sagt Barbetreiber Dave Mäder. Auch während des Lockdowns sei die Solidarität gross gewesen. Mäder wurde Hilfe angeboten, Gutscheine wurden gekauft.Solidarität ist das Wort, das an diesem Abend bei der, zugegeben angenehmen, «Ochsentour» durch fünf Beizen der Altstadt immer wieder fällt. «Sogar von Rorschacherberg her wurden wir angefragt, ob es uns helfe, wenn der ins Leben gerufene Take-away beansprucht werde», sagt die Servicefachangestellte Saskia Kobler in der Rathaus-Bar. Auch sie bekräftigt das Verständnis der Gäste gegenüber den Regeln und sagt, dass lose Gruppen, die ankämen, sich automatisch auf die Tische verteilen würden. Dass die Sitzpflicht eingehalten würde und sie noch nie hätten ermahnen müssen, dass man nicht auf einen Schwatz an einen anderen Tisch gehen dürfe. Die sofortige Rückkehr der Gäste freute auch Emil Kölbener, Betreiber der Hechtbar, der dritten Station der Tour d’Altstätten. Er stellte allerdings fest, dass die Gäste früher nach Hause gehen. «Die Leute scheinen sich nicht mehr gewohnt zu sein, lange herum zu hocken», sagt Kölbener. Da das Benutzen von Spielgeräten verboten ist, fallen bei ihm auch die Dartkästen aus. «Meinem ligaspielenden Team ‹Die verflixte Eins› konnte ich einen Trainingsplatz in Oberriet besorgen», erzählt er. Es wäre unfair, wenn sie in der Bar trainieren würden und andere Gäste dürften dann nicht spielen.Die jetzige Situation bringt UmsatzverlusteDas bedeutet für die kleine Bar aber auch weniger Umsatz. Noch stärker vom Umsatzverlust betroffen sind grössere Restaurants, die Mitarbeiterlöhne zu bezahlen haben. «Dank einem Angebot von 32 Plätzen und Kurzarbeit musste ich bis jetzt zumindest kein Personal entlassen», sagt Bruno Wettstein vom «Kreuz». In bester Lage an der im Volksmund als Rue de Blamage bekannten Altstätter «Ausgangsmeile» lebt er eigentlich vom Laufpublikum – den Leuten, die zwischen den Bars hin und her pendeln. Genau das, was jetzt nicht erlaubt ist. «Die jungen Leute sind richtiggehend scharf auf Ausgang», sagt Wettstein. Er räume deshalb am späteren Abend die Tische vor dem Restaurant weg, denn draussen zu kontrollieren, dass maximal fünf Leute zusammen stehen, sei vom Personalaufwand her nicht möglich. Dabei verweist er auf den befremdlichen Umstand, dass nur vier Gäste am Tisch sitzen dürfen, in der Öffentlichkeit aber Fünfergruppen akzeptiert sind.Gäste müssen auch weggewiesen werdenWettstein wie auch Daniel Thür von der «Breite» mussten am ersten Wochenende zahlreiche Gäste wegweisen, um die Regeln einhalten zu können.Sozusagen nach der Sprintwertung an der Rue de Blamage – unter der Woche hatte nur das «Kreuz» geöffnet – ist die «Breite» der persönliche Zieleinlauf der Tour d’Altstätten. Beim abschliessenden «Klöschti», stellvertretend für den Sieges- Champagner, findet sich mit Daniel Thür ein Neubeizer, der für sich auch positive Seiten in der schwierigen Situation der Barbetreiber sieht: «So schaffe ich es, den Laden alleine zu schmeissen, kann Abläufe optimieren und mir etwas Routine erarbeiten, ohne mich auch noch um das Personal kümmern zu müssen.»Alle sind froh, dass sie arbeiten könnenWeder er noch alle anderen haben sich über die aktuelle Situation beklagt. Alle sind froh, dass sie ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten und es einigermassen gut anlief.Aber die Schilderungen zeigte auch, dass alle unter den Einnahmen-Einbussen leiden. Die Hoffnung auf weitere Verbesserungen ist gross. Leute in kleinen Gruppen zu isolieren widerspricht der Grundidee der Ausgangs-Feierabendbeiz, die dafür steht, Kontakte zu pflegen und Leute kennen zu lernen. Je grösser das Restaurant und je später der Abend, desto schwieriger ist es, Gruppenbildungen und Geläuf zu verhindern – natürlich auch dem sozialen Schmier-mittel Alkohol geschuldet. Der Wunsch, dass grössere Personengruppen zugelassen werden, ist deshalb bei allen gross.Kasten 1:Wenn Mieterlasse, dann total unterschiedlich
Immer wieder ein Thema, oft auch von den Gästen angesprochen, waren an diesem Abend die Nebenkosten – besonders die Mietkosten.
Die meisten der besuchten Beizer konnten oder können immer noch von Mieterlassen profitieren. Diese und auch andere Beispiele, die erwähnt wurden, zeigten eine riesige Bandbreite: von Komplett-Erlassen während des Lockdowns bis zu gar keinem Entgegenkommen und ebenso grossen Unterschieden in der jetzigen Übergangszeit war alles vorhanden. Der mehrfach geäusserte Wunsch nach einer einheitlichen Regelung von Bundesseite erstaunt daher nicht. Angesichts der tiefen Hypothekarzinsen sollte es hier eigentlich auch genug Luft geben, den leidgeprüften Selbständigerwerbenden entgegen zu kommen, findet man.Kasten 2:Vom Bau in die Bar
Daniel Thür, der die «Breite»-Bar neu übernommen hatte, dachte sich beim Lockdown: «Das kannst du jetzt vorläufig vergessen» und suchte sich anderweitig Arbeit. Aus dem Baustellenradio erfuhr er, dass Restaurationsbetriebe am 11. Mai unter Auflagen wieder eröffnen können. «Da habe ich praktisch auf der einen Baustelle zusammengepackt und in der ‹Breite› wieder ausgepackt.» In zehn Tagen hatte er nebst Boden schleifen und diversen anderen Handwerksarbeiten teilweise auch noch Inventar, Getränke etc. zu organisieren. «Wie und wann ich die eigentliche Eröffnungsparty organisiere, überlege ich mir jetzt noch in Ruhe», lacht er.