24.01.2020

Faszination Handy

Von Philipp Hautle
aktualisiert am 03.11.2022
Angenommen, mein 1991 verstorbener Vater kommt heute für eine Stunde aus dem Jenseits zurück. Er schaut, staunt. «Was haben all die Leute in der Hand? Auf der Strasse. Im Zug. Bei Tisch?» Meine Grosskinder lachen und klären ihn auf. «Das sind Handys. Die gibt es heute rund um den Erdball milliardenfach. Damit sind wir alle miteinander verbunden. Wir chatten – das heisst – wir können miteinander reden, wo immer wir sind. Wir sehen einander. Wir können Musik hören, die wir mögen. Wir wissen alles, was grad auf der Erde passiert.»«Dann könnt Ihr mit dem Dingsda sicher auch beten?» «Hmm?» Jetzt machen die Urgrosskinder grosse Augen. «Was?»Jetzt ist mein Vater an der Reihe. Geistesgegenwärtig antwortet er: «Gib bei den Bildern ein: Morgengebet am Ganges in Varanasi. Da stehen Tausende von Hindus im Wasser und murmeln ihr Morgengebet. Nun gib ein: Weltfriedenskirche in Hiroschima. Eine riesige Betonkirche voller Leute. Sie wurde auf Initiative von Pater Enomiya-Lassalle erbaut. Dieser hatte den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima überlebt. Er wünschte, dass hier um weltweiten Frieden gebetet werde. Findest Du auch ein Bild von der Moschee in Buchs? Ja, da knien Männer und Knaben jeden Freitagabend in Reih und Glied auf dem Boden. Findest Du ein Bild von der Synagoge in St. Gallen? – Juden am Sabbat mit einem Käppi auf dem Kopf. Und vorne eine grosse Schriftrolle. Und ein Bild von den Schwestern im Kloster Altstätten? Sie singen Psalmen und lesen aus dem Leben Jesu. Und ein Video über Taizé? Das war zu meiner Zeit – bevor ich starb – ein Anziehungspunkt für Jugendliche aus allen Ländern. Die vielen endlos klingenden Gesänge sind so wunderbar. Und noch ein Bild von der Kathedrale St. Gallen. Ich liebte diese Kirche, die Musik an den grossen Festtagen. Nun gib noch Vater unser ein. Oh. Da kommen auf Youtube so viele Titel. Das ist mein Lieblingsgebet. Beten ist für mich: Mit Gott reden. Auf ihn hören. Ihm vertrauen. Im Beten nehme ich die Seele wahr. Da finde ich den Willen Gottes.»Jetzt müssen die Urgrosskinder tief atmen. Faszinierend diese Handys! Jederzeit und überall unter Strom. Informiert. Mit allen verbunden. Und sie regen an, hineinzuhören in das noch grössere Netz unserer Existenz. Im Hören, Staunen, Beten, Erfahrungen sammeln, die alle Handy-Infos übersteigen. Uns aufrichten und ausrichten, unsern Alltag sinnvoll zu gestalten. Philipp HautleRebstein

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