16.05.2019

Fall Kopp: Es darf kein ungutes Gefühl zurückbleiben

Meinung --- Der Fall Kopp ist ein vorzügliches Beispiel für die Gefahr einer Vorverurteilung. Sohn und Vater verbrachten 40 Tage in Untersuchungshaft und litten auch anschliessend monatelang unter dem schweren Vorwurf, sie hätten Kinder sexuell missbraucht.

Gert BrudererErfährt die Öffentlichkeit früh von einem solchen Fall, zum Beispiel kurz nach der Verhaftung von Beschuldigten, ist jeweils der Satz zu hören: «Wie auch immer es ausgeht, etwas bleibt immer hängen.»Im Fall Kopp darf nichts hängen bleiben! Die langwierigen und sehr aufwendigen Ermittlungen haben den von einer Mutter geäusserten Vorwurf in keiner Weise bestätigt. Es gibt keinen Hauch von einem ernst zu nehmenden Indiz, dass Kopps etwas Unrechtes getan haben könnten.Hätte rheintaler.ch nicht erst nach dem Abschluss des Verfahrens über die Sache berichtet, sondern schon während der Untersuchung, wäre zwar explizit auf die geltende Unschuldsvermutung hingewiesen worden – wie das ja meistens getan wird, wenn über strafrechtlich relevante Fälle berichtet wird. Was allerdings nicht nötig wäre.Ein Sachverhalt lässt sich auch ohne die Zusatzbemerkung so darstellen, dass ein Beschuldigter nicht schon als Schuldiger gilt. Ausserdem ist in der Verfassung in Artikel 32 festgehalten: «Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.» Das geht über blosses Vermuten hinaus. – Nicht verurteilt, nicht schuldig!Leider beschränkt sich das Denken nicht auf rationale Gegebenheiten. Wir lassen uns auch von Gefühlen leiten, von Sympathien und Vorurteilen – und viele unserer Gedanken sind das Ergebnis einer Verquickung von Faktenwissen und Empfindungen.Lesen wir zum Beispiel von der Verhaftung eines uns bekannten Menschen, bildet sich in unserem Kopf sogleich eine Einschätzung heraus, eine Tendenz, wenn nicht sogar eine klare Meinung. Womöglich neigen wir bei einem uns unsympathischen Menschen eher dazu, ihn für schuldig zu halten (es kann sogar etwas Schadenfreude im Spiel sein). Hingegen darf ein Beschuldigter, den wir mögen, eher damit rechnen, dass wir auf eine gedankliche Vorverurteilung verzichten oder von seiner Unschuld sogar überzeugt sind.Die menschlichen Abgründe sind tief. Das zeigt schon die Erfahrung. Immer wieder werden Taten von Menschen bekannt, von Prominenten beispielsweise, die von ihnen nicht erwartet, die ihnen nicht zugetraut worden wären. Doch es gibt nicht nur die seelischen Abgründe von Tätern, sondern auch sehr viel Eigenartiges, dem vermeintliche Täter zum Opfer fallen: Unglückselige Umstände, verrückte Zufälle, Fehlleistungen von Ermittlern, in gutem oder bösem Glauben vorgebrachte Falschbeschuldigungen – oder Abgründe in fremden Seelen, die dazu führen können, dass jemand völlig unverschuldet in die Mühlen der Justiz gerät. Nicht nur im Film, auch im realen Leben ist erstaunlich viel ganz anders, als es scheint.Das Schicksal von Stefan Kopp und seinem Vater Edwin, die nach 40 Tagen Untersuchungshaft auch noch monatelang ein Kontakt- und Redeverbot zu befolgen hatten, ist besonders hart. Am Ende hat der Staat nicht mehr zu melden als den knappen Satz, das Verfahren sei eingestellt worden.Ein solcher Satz lädt geradezu zu einer falschen Deutung ein. Doch das Gesetz lässt keinen Zweifel. Die Einstellung bedeutet, wie im Artikel vom Mittwoch beschrieben: Stefan und Edwin Kopp sind freigesprochen. Nicht aus Mangel an Beweisen, sondern weil ihnen schlicht kein Vorwurf zu machen ist.Kopps sind also auch die Opfer eines Missverhältnisses. Die Wiederherstellung ihres guten Rufs kann nicht mit jener Kraft vorangetrieben werden wie zuvor (in guter behördlicher Absicht) der beflissene Versuch, dem Vorwurf einer Mutter auf den Grund zu gehen.Ermittlungen, die in die Leere führen, haben die Bedeutung einer Untersuchung, die nie stattgefunden hat.  

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