02.07.2022

Fahrende scheitern vor Bundesgericht

Die Dachorganisation der Fahrenden will einen Durchgangsplatz in Thal juristisch erkämpfen. Das gehe nicht, sagen die Gerichte.

Von Adrian Vögele
aktualisiert am 02.11.2022
Die Suche nach Durchgangsplätzen für Jenische und Sinti bleibt so schwierig wie eh und je. Der Kanton St. Gallen bemüht sich seit Jahren, solche Areale zu definieren und scheitert immer wieder an lokalem Widerstand. Die Justiz kann dabei auch nicht viel helfen – das zeigt ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts zu einem Gelände in Thal: Die Gemeinde könne nicht auf dem Rechtsweg dazu gezwungen werden, dort einen provisorischen Durchgangsplatz einzurichten, so das Gericht. Es lehnt damit eine Beschwerde der Radgenossenschaft der Landstrasse, der Dachorganisation der Schweizer Jenischen und Sinti, ab.Eigentlich sieht der Kanton St. Gallen in seinem Richtplan einen fixen Durchgangsplatz in Thal vor. Die Bürgerschaft stimmte aber im Jahr 2014 gegen die nötige Umzonung. Gemeinde und Kanton starteten dann einen neuen Anlauf. Sie wollten auf dem Areal Fuchsloch einen lediglich provisorischen Durchgangsplatz einrichten – als Versuch sozusagen, befristet auf maximal fünf Jahre. Der damalige Bauchef Marc Mächler setzte sich persönlich für das Vorhaben ein. Auch dagegen gab es aber Kritik im Dorf. Der Gemeinderat entschied schliesslich, auch den provisorischen Durchgangsplatz nicht weiterzuverfolgen. Der Kanton bedauerte den Entscheid, akzeptierte ihn aber. Eine rein politische Angelegenheit?Die Radgenossenschaft beschritt den Rechtsweg und legte Beschwerde ein: Grundrechte der vom Bund anerkannten Minderheit der Jenischen und Sinti würden missachtet. Der Kanton trat darauf aber gar nicht erst ein – der Entscheid des Gemeinderats sei politischer Art und nicht anfechtbar, die Radgenossenschaft könne dagegen nicht rekurrieren, auch erfülle sie die Voraussetzungen für eine Beschwerde nicht. Die Fahrenden gelangten daraufhin ans kantonale Verwaltungsgericht. Dieses beurteilte die Ausgangslage anders als die Vorinstanz: Eine Vielzahl der Mitglieder der Radgenossenschaft sei von der Frage betroffen, ob in Thal der erste Durchgangsplatz im Kanton St. Gallen realisiert werde. Darum sei die Organisation zur Beschwerde berechtigt, so das Gericht. Es hielt fest: «Mit Blick auf die sich aus allen Stufen der Rechtsordnung ergebende Verpflichtung der politischen Behörden, für die Schaffung von Halteplätzen für Jenische, Sinti und Roma zu sorgen, ist das Vorgehen der Beschwerdeführerin verständlich.» Die Radgenossenschaft zeigte sich erfreut über diese Beurteilung – es sei ein «Teilerfolg» im Kampf um Durchgangsplätze. Allerdings lehnte das Verwaltungsgericht die Beschwerde im Fall Thal dann doch ab – mit ausführlicher Begründung. Der Gemeinderat habe mit dem Entscheid, den provisorischen Durchgangsplatz nicht weiterzuverfolgen, keine rechtliche Verpflichtung verletzt. Für den provisorischen Durchgangsplatz sei keine Zonenplanänderung nötig, es genüge ein Baugesuch. Ein solches liege aber nicht vor. «Das Gericht kann den Gemeinderat nicht dazu anhalten, die Planung eines provisorischen und zeitlich befristeten Durchgangsplatzes weiterzuführen.»Der Richtplan ist im Streitfall nicht verbindlichAuch die Zonenplanänderung für einen fixen Durchgangsplatz, wie er im kantonalen Richtplan vorgesehen ist, könne nicht auf dem Rechtsmittelweg durchgesetzt werden – dafür brauche es den politischen Weg, so das Verwaltungsgericht. Auch gegen dieses Urteil wehrte sich die Radgenossenschaft und zog vor Bundesgericht. «Unseren Minderheiten werden im politischen Entscheidprozess keine klagbaren Rechte eingeräumt», bemängelten die Fahrenden in einem Communiqué. Das Bundesgericht bestätigt nun aber die Haltung des kantonalen Verwaltungsgerichts und weist die Beschwerde ab. Der Streit um den Durchgangsplatz ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der kantonale Richtplan, obwohl ein zentrales Planungsinstrument und vom Bundesrat abgesegnet, im Konfliktfall nicht verbindlich ist. Dem Kanton stünden keine rechtlichen Instrumente zur Verfügung, einen festen Durchgangsplatz gegen den Willen der Gemeinde durchzusetzen, hatte das Baudepartement schon im vergangenen Jahr mitgeteilt.Eine ähnliche Diskussion entwickelte sich jüngst um das Seeufer in Rapperswil-Jona: Der Kanton sieht im Richtplan einen neuen öffentlichen Seeuferweg vor, die Stadt sieht aber keine Notwendigkeit, Schritte für eine Umsetzung zu unternehmen. Dafür fehle jeder politische Wille, stellte der Stadtrat fest.

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