15.01.2021

Exhibitionist? «Ich war’s nicht»

Drei Frauen haben einen Exhibitionisten angezeigt. Vor Gericht bestritt er jede Schuld – und wurde freigesprochen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererAm Tag der Gerichtsverhandlung in Altstätten geschah Überraschendes, doch auf dem Papier war der Fall klar gewesen: Ein 52-jähriger Vorarlberger zeigte sich an einem Abend im Mai 2018 zwei Frauen mit entblösstem Glied und hantierte daran herum. Eine Woche später erlebten zwei andere Frauen dasselbe. Drei von ihnen haben ihn später identifiziert.Die Vorfälle ereigneten sich in der Nähe des Strandbades Diepoldsau, am Fluss. Beide Male verschwand der Mann erst, als die Frauen mit der Polizei drohten. Nach dem Ereignis am ersten Abend erstattete eine der Frauen Anzeige. Im zweiten Fall zeigten beide Betroffene den Exhibitionisten an.Eine Fotoauswahl führte zur AnklageVon der Polizei bekamen die Frauen eine Auswahl an Fotos vorgelegt. Auf einem dieser Fotos war ein Vorarlberger abgebildet, gegen den in seinem Heimatland ein inzwischen rechtskräftig eingestelltes Verfahren wegen eines Sexualdelikts durchgeführt wurde. Ein zweites Verfahren (wegen eines völlig anderen Delikts) endete ohne Schuldeingeständnis mit der Bezahlung von 200 Euro; er habe die Sache vom Tisch haben wollen, sagte der Mann vor Gericht.Alle drei Frauen identifizierten anhand der Fotos den Mann, der am Freitag in Altstätten vor dem Kreisgericht Rheintal stand. Zu dieser Verhandlung war es gekommen, weil der Beschuldigte die Verurteilung durch das Untersuchungsamt Altstätten nicht akzeptierte und Einsprache erhob. Die Frauen waren als Auskunftspersonen zur Gerichtsverhandlung vorgeladen.Das erste Opfer trug die falschen LinsenZunächst äusserte sich – zum ersten Vorfall – eine junge Detailhandelsangestellte. Gemäss dem Protokoll zur Fotowahlkonfrontation hatte sie den Angeklagten auf einem der Fotos klar wiedererkannt. Vor Gericht aber meinte die Frau, sie habe damals nicht gesagt, sie sei sich sicher. Weil sie am Tatort die falschen Linsen getragen habe, habe sie den Exhibitionisten «nicht richtig gesehen», schon gar nicht sein Gesicht.Als der Angeklagte vor Gericht seine Schutzmaske abnahm, konnte die Frau nicht bestätigen, dass er der Täter sei. Er sei gross gewesen, eins neunzig vielleicht. Daraufhin erhoben sich der einen Meter achtzig grosse Anwalt des Angeklagten und sein etwas kleinerer Mandant.Die Kollegin hatte mit dem Handy ein Video machen können, auf dem der Exhibitionist aber nur verschwommen zu sehen ist. Dessen rundliche Statur entspreche nicht jener seines Mandanten, der rank und schlank sei, sagte der Verteidiger. Der Beschuldigte wunderte sich auch über diesen Aspekt: Der Exhibitionist soll am zweiten Abend die Frauen um Feuer für seine Zigarette gefragt haben, doch er habe «sein Leben lang nicht geraucht».Dritte Frau zieht Strafantrag zurückZur Befragung über den zweiten Vorfall in Diepoldsau waren beide betroffenen Frauen vorgeladen. Die eine Frau, eine junge Betreuerin, führte aus, sie sei sich bei der Fotoauswahlkonfrontation «ziemlich sicher» gewesen – «zu 99 Prozent». Als der Angeklagte erneut die Schutzmaske abnahm, meinte sie, der Vorfall sei zwei Jahre her, aber sie «hätte auch jetzt gesagt, der Mann kommt mir bekannt vor».Die ebenfalls zur Befragung vorgeladene Kollegin liess das Gericht gestern Morgen wissen, sie sei krank, später wollte sie doch noch kommen, meinte aber, das sei wegen des zusammengebrochenen öV kaum möglich, sodass das Gericht den Eindruck gewann, sie wolle nicht so recht aussagen. Tatsächlich, sagte der Richter, habe die Frau ihren Strafantrag telefonisch zurückgezogen.Im Protokoll zur Fotoauswahlkonfrontation ist die somit nicht befragte Belastungszeugin so zitiert: «Ich würde sagen, Nummer 3. Ich bin mir fast sicher. Auf Fotos ist es schwierig, jemanden wiederzuerkennen. (…) Der fehlende Bartwuchs passt gut. Es stimmt eigentlich alles, wie ich es in Erinnerung habe.»Verteidiger: «Suggestiv statt neutral befragt»Der Verteidiger des Beschuldigten kritisierte, dass den Frauen Fotos vorgelegt worden seien, ohne dass sie den Täter zuvor differenziert hätten beschreiben müssen. Die Frauen seien nicht neutral, sondern suggestiv instruiert worden. Zu einer neutralen Fotowahlkonfrontation hätte zum Beispiel der vorgängige Hinweis gehört, dass der Exhibitionist womöglich auch auf keinem der Fotos abgebildet sei. Überhaupt sei das Verfahren unfair gewesen. So habe sein Mandant vor der Bestrafung durch das Untersuchungsamt den Belastungszeugen keine Fragen stellen können.In beiden Fällen freigesprochenDas Gericht befand, vom ersten Vorfall sei der Angeklagte klar freizusprechen. Das Video sei mit Mängeln behaftet, und das vor Gericht aufgetretene Opfer habe den Mann nicht als Täter identifizieren können.Auch die Frau, die zum zweiten Vorfall aussagte, habe den Beschuldigten nicht klar als Täter identifiziert, kommentierte das Gericht. Ausserdem habe sie eingeräumt, sie sei damals zuerst geschockt und ihre Wahrnehmung deshalb eingeschränkt gewesen. Nicht ganz so klar, sondern nach dem Grundsatz «Im Zweifel für den Angeklagten» erfolgte der Freispruch im zweiten Fall.

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