04.02.2019

Eulen-WG als Naturspektakel

Seit einigen Wochen gibt es beim Kiosk am Rohr ein Naturschauspiel zu beobachten. Rund zwanzig Waldohreulen bilden dort eine Schlafgemeinschaft, um zusammen das Winterhalbjahr zu überstehen.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin SchmidDie sonst versteckt und heimlich lebenden Waldohreulen lassen sich an ihrem Winterquartier am Rohr in Lustenau leicht beobachten. Ab dem Spätherbst schliessen sich die Vögel in Gruppen zusammen und beziehen gemeinsam einen Schlafplatz. «Im Schutz der Nadelbäume verschlafen sie den Tag, um in der Nacht auf Jagd zu gehen», sagt Forti Frei, Obmann Natur und Vogelschutz des Ornithologischen Vereins Widnau. Besonders beliebt seien Reihen oder Gruppen von Nadelbäumen, in denen die Eulen von Kleinvögeln, Elstern und Krähen weniger gestört schlafen können.Nebeneinander auf den ÄstenTagsüber sitzen sie ruhig auf den Ästen und schmiegen sich dicht an den Stamm, sodass sie mit ihrem rindenbraunen Gefieder kaum auffallen. Hat man im dichten Geäst die erste, gut getarnte Waldohreule ausgemacht, folgen schnell weitere: vier, fünf direkt nebeneinander, ein paar Meter daneben die nächsten. «Spaziergänger haben über 20 Tiere gezählt», sagt der Widnauer. Wenn sie nicht schlafen, beobachten sie mit ihren grossen Augen die Umgebung. Deutlich sind ihre langen Federohren erkennbar, die lediglich zum Drohen und Imponieren dienen, aber keine Funktion für das Gehör haben.Im Umkreis der Sammel­plätze liegen zigarrenförmige, grauschwarze Ballen aus Federn, Knochen und Fellen auf dem Boden: das Gewölle. Ein untrügerisches Zeichen, dass Eulen in der Nähe sind. Anhand der ausgewürgten, unverdaulichen Nahrungsresten erkennt der Experte die Art der Tiere.Potenziell gefährdet, aber nicht bedrohtGemäss dem neuen Brutvo­gelatlas 2013 – 2016 kommt die Waldohreule in der ganzen Schweiz vor. Sie bevorzugt flache, halb offene Landschaften, wo sie im Grünland und auf den Ackerflächen jagt und in Baumhecken oder im Waldrandbereich ihre Brut grosszieht. Reviere an Siedlungsrändern, in Parks und grösseren Gärten sind eher selten, obwohl die Nähe des Menschen keineswegs gemieden wird. «Dass die Tiere hier sind, ist keine Sensation», sagt Forti Frei, «aber ein schöner Anblick, den man nicht jeden Tag hat.» Umso wichtiger sei es, den Tieren mit dem nötigen Respekt zu begegnen und darauf zu achten, sie nicht aus ihrer Ruhephase zu reissen.«Eine gestörte Tagesruhe kann im Zusammenhang mit mangelndem Nahrungsmittelangebot zu Stressbelastungen für die Tiere und letztlich zu ihrem Tod führen», sagt der Ornithologe. Obschon die Tiere nicht vom Aussterben bedroht seien, in der Schweiz leben 2000 bis 3000 Paare, ist ihre Art potenziell gefährdet, weiss Frei. «Das ist aber kein Grund, die Tiere zu füttern. Besucher sollen an den Tieren Freude haben, sie aber lieber mit dem Feldstecher beobachten, statt ein Foto von ihnen zu machen.»Akustische Lokalisation der BeutetiereDie Eule ernährt sich überwiegend von Wühl- und Feldmäusen, Insekten, Regenwürmern und schlafenden Vögeln. «Die Beute wird akustisch geortet», sagt Simon Birrer, Leiter «Förderung der Vogelwelt» der Vogelwarte Sempach, und fügt an: «Bis zu 100 Mäuse fängt eine einzelne Eule in einem Monat.» Die zur Familie der Ohreneulen und Käuze gehörende Waldohreule beginnt die Jagd mit Einbruch der Dämmerung. Sie jagt sowohl vom Ansitz aus wie auch im langsamen Pirschflug. Gemäss Birrer verhindern samtweiche Federn mit biegsamen Härchen an den Rändern die Bildung von Luftwirbeln und machen so den Flügelschlag des nächtlichen Räubers für die Opfer unhörbar. Sie besitzen ein sehr gutes räumliches Sehvermögen, jedoch ist ihr Blickfeld eingeschränkt. «Um seitlich oder hinter ihnen liegende Gegenstände zu sehen müssen sie den Kopf drehen – bis zu 270°», sagt Forti Frei. Die Ohröffnungen sitzen asymmetrisch am Kopf, wodurch sie ihre Beute sehr genau orten können.Beziehung hält nur ein Jahr lang«Waldohreulen führen in der Regel nur eine Saisonehe», sagt Simon Birrer, «Paarbildung und Balz beginnen meist Mitte Februar.» Je nach Witterung starten die Waldohreulen Mitte März bis Mitte April mit dem Legen von drei bis sechs Eiern. Nach rund fünf Wochen können die Jungen gut fliegen, werden jedoch noch weitere fünf bis sechs Wochen von den Eltern versorgt. Nur jeder zweite Jungvogel erlebt den ersten Geburtstag. Die überlebenden Vögel können bis zu 28 Jahre alt werden.

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