15.08.2022

«Etwas Entscheidendes wird fehlen»

Im neuen Alterszentrum Zehntfeld ist keine Kapelle vorgesehen. Das missfällt Pfarrer Georg Changeth.

Von Interview: Hildegard Bickel
aktualisiert am 02.11.2022
Das im Bau befindliche Haus Zehntfeld löst im Dorf, besonders unter Pfarreimitgliedern, Diskussionen aus. Kritische Stimmen stossen sich daran, dass für Gottesdienste ein Mehrzweckraum genügen muss. Zwar ist auch ein Raum der Stille geplant, der zu Ruhe und Einkehr einlädt, doch die Räume sollen keine bleibenden christlichen Symbole enthalten. Pfarrer Georg Changeth sprach kürzlich in einem Gottesdienst über diese Situation und drückte seine Enttäuschung aus. Wir haben bei ihm nachgefragt.Was stimmt Sie traurig?Georg Changeth: Es gibt weder einen Andachtsraum noch eine Kapelle – und somit fehlt etwas Entscheidendes für die Beheimatung der Gläubigen im neuen Alterszentrum. Spirituelle Begleitung und Gottesdienste sind möglich, die christlichen Symbole sind jedoch nur während des Gottesdienstes vorhanden. Danach werden die Insignien in den Schrank zurückgelegt. Das ist der springende Punkt für mich – die Seniorinnen und Senioren können ihre gewohnte christliche Beheimatung nicht finden. Ich bin sicher, dass die Menschen dies vermissen werden, und das stimmt mich traurig.Gemäss der Gemeinde ist die spirituelle Begleitung im neuen Alterszentrum sichergestellt mit einem Raum der Stille und einem Mehrzweckraum. Weshalb genügt dieses Angebot nicht? Ich kann eine Messe oder eine Andacht im Mehrzweckraum feiern, ich kann dies überall tun, auf einem Berg, in einem Garten, auf dem See. Es geht nicht darum. Es ist ein tiefer Wunsch der älteren Menschen, einen Gebetsraum zu haben mit einer Kerze, einem Kreuz, einer Heiligenstatue. Sie brauchen einen Raum, in dem sie zum Beispiel einen Rosenkranz beten können. In gewissen anderen Altersheimen wird auch ein Bild in der Kapelle aufgestellt, wenn jemand verstorben ist. Es kann dort still oder gemeinsam für die verstorbene Person gebetet werden. All dies geht verloren. Menschen in ihrer letzten Lebensphase sollen an ihr gewohntes Leben im Glauben anknüpfen können. Dazu sind die christlichen Symbole sehr wichtig.Weshalb kommt diesen Symbolen eine solche Bedeutung zu? In einem christlich geprägten Land sehen wir überall christliche Symbole, Wegkreuze, Bergkreuze, Bildstöckli, Kreuzwege, Bibelsprüche an Häusern und Bergwänden, auch in unseren Häusern haben wir Ikonen, Kreuze und Heiligenfiguren. Auf dem Säntis, einem Ort, wo man sich international trifft, ist mir aufgefallen, dass Sprüche aus der Bibel aufgehängt sind. Diese werden nicht entfernt, nur weil Menschen anderer Religionen den Säntis besuchen. Warum also soll in einem Altersheim kein christliches Zeichen zu sehen sein? Es geht um die Bewahrung der christlichen Werte in unserem Land. Ein Andachtsraum im Altersheim widerspricht in keiner Weise einem offenen Haus. Ich bin auch offen, dass andere Religionen im Andachtsraum ihren Platz finden können, sie dürfen gerne auch ihre religiösen Symbole anbringen. Ein Andachtsraum lädt zum Gebet, zur Stille und Einkehr ein. Das würden die älteren Menschen sehr vermissen. Ich möchte hierzu eine Metapher zur Erklärung anfügen:Stellen Sie sich eine Blumenwiese vor. Sie ist so schön, weil viele verschiedene Blumen in verschiedenen Farben nebeneinander existieren. Als Ganzes wird die Blumenwiese in ihrer vollen Pracht zur Einheit. Keine Blume stört die andere.So ist es auch mit unserem Glauben. Die verschiedenen Religionen sind die Blumen. Gerade die Varietät macht das Ganze aus. Wir sind gerade dabei, auf die Blumen zu verzichten und mit einer grünen Wiese zufrieden zu sein.Die Gemeinde bemüht sich um ein offenes Haus für Menschen unterschiedlichen Glaubens. Kritische Stimmen entgegnen, dadurch werde die christliche Kultur vernachlässigt. Was sagen Sie? Ich bin seit meiner Kindheit gewohnt, für alle anderen Religionen offen zu sein. In Indien haben verschiedene Religionen ihren Platz. Ich bin in einer friedlichen, interreligiösen Kultur aufgewachsen. Die Christen, oft von den europäischen Ländern unterstützt, bauen Schulen, Spitäler und Kirchen. Alle Religionen haben Zugang. Es liegt mir also mehr als fern, andere auszuschliessen. Ich habe in Rom, in einer Weltstadt, studiert. Ich war in Deutschland und vielen anderen Ländern. Deshalb bin ich der Meinung, dass ein friedliches Nebeneinander das Ziel sein sollte. Diese Offenheit wird in keiner Weise gestört, wenn eine Kapelle, ein Andachtsraum im neuen Zentrum vorhanden ist.Welchen Stellenwert hat der Glaube vor allem im Alter? Das seelische und geistliche Wohlbefinden ist für Menschen im letzten Lebensabschnitt genauso wichtig wie eine gute Pflege. Ich sehe, dass das Pflegekonzept in Widnau sehr gut ist. Für mich fehlt aber ein Ort, wo der Glaube gelebt werden kann, dies zu jeder Tages- und Nachtzeit. Mehrere Menschen aus meiner Pfarrei haben dies bemängelt.Die Gemeinde teilte mit, es sei mit Kirchenvertretenden über die Durchführung liturgischer Angebote gesprochen worden. Mit welchem Resultat? Wir haben unsere Sicht vorgetragen und uns für unser Anliegen eingesetzt. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.Was wünschen Sie sich für das neue Alterszentrum? Eine Möglichkeit wäre, den Raum der Stille mit einem Kreuz, einer Kerze, auch mit einem Altar und einem Tabernakel auszustatten, damit die Christinnen und Christen eine Beheimatung finden. Die Menschen möchten nicht eine leere Wand sehen. Für mich ist es ein grosses Anliegen, dass wir für unsere Werte und Traditionen einstehen. Wir bleiben aber dennoch offen für andere.

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