26.11.2020

Essen verteilen und Armut lindern

Der Heidler Verein Bergulme gibt seit 2014 jeden Dienstag Lebensmittel an Bedürftige ab.

Von Smilla Bühler
aktualisiert am 03.11.2022
Die Coronapandemie macht vielen zu schaffen. Kontakte limitieren und beim Einkaufen niemandem zu nahe kommen gehören zum neuen Alltag. Die einen scheinen noch mehr zu konsumieren als vor der Krise, während andere derzeit jeden Franken umdrehen müssen. Besonders für Personen, die an der Armutsgrenze leben, kann die Pandemie alte Existenzängste vertiefen oder neue hervorbringen.In diesen Tagen ist die Arbeit des Vereins Haus zur Bergulme deshalb umso wichtiger. Die gemeinnützige Organisation aus Heiden verteilt seit 2014 jeden Dienstag Lebensmittel an Bedürftige. Die Lebensmittelabgabe ist ein Projekt der Schweizer Tafel, eine Stiftung, die überschüssige Lebensmittel an armutsbetroffene Personen verteilt. Täglich werden in der Schweiz rund 16 Tonnen an einwandfreien Lebensmitteln an soziale Institutionen wie Obdachlosenheime, Gassenküchen oder Vereine wie die «Bergulme» abgegeben. Für die Abgabestellen in Appenzell Ausserrhoden ist die Schweizer Tafel Region Ostschweiz zuständig, welche die Lebensmittel sammelt und liefert.Alljährlicher «Wägeli-Tag» kann nicht stattfindenDieses Jahr ist der Verein Bergulme besonders auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen, denn coronabedingt kann der «Wägeli- Tag» nicht stattfinden. Dabei positionieren sich Mitglieder der ehrenamtlichen Organisation am letzten Wochenende im November vor dem Coop in Heiden und ermutigen Leute aus der Bevölkerung, bei ihrem Einkauf doch auch ein Kilo Zucker oder Reis extra zu kaufen. Anschliessend können die Produkte in den Wagen der «Bergulme» gelegt und so gespendet werden. Es ist eine vorweihnachtliche Aktion des Vereins, bei dem neben dem Spendensammeln der Kontakt zur Bevölkerung gestärkt werden kann.Irma Enz ist seit sechs Jahren Leiterin und gute Fee der Heidler Lebensmittelabgaben. Gemeinsam mit ihren fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern empfängt die pensionierte Mesmerin jeden Dienstagmorgen den Lieferwagen, der überschüssige Grundnahrungsmittel, darunter «meistens viel Brot», bringt. Dann beginnt die eigentliche Arbeit des «Bergulme»-Teams. Irma Enz sagt: «Wir packen zuerst alles aus, waschen das Gemüse, stellen schon die eine oder andere Tasche zusammen und richten alles ordentlich auf den Tischen an.» Wenn dann die ersten Kunden eintreffen, ist es meistens bereits Mittagszeit. Momentan darf nur immer eine Person das ehemalige Restaurant betreten. Die Lebensmittelabgabe läuft dann ab wie bei einem Markteinkauf. Der Kunde zeigt auf das gewünschte Produkt und verlässt das Lokal anschliessend mit einer vollgepackten Tasche Nahrungsmittel. Die Kundinnen und Kunden bezahlen für die Lebensmittel einen Franken. «Es kommt niemand zu kurz», sagt Enz. «Wir kennen die Leute mittlerweile und packen auch schon mal vor. Ich weiss ganz genau, wer kein Fleisch isst oder etwas mehr Salat mag.» Rund 30 Personen aus der Region nehmen das Angebot jede Woche in Anspruch.Einkaufsmöglichkeit und BegegnungsortVor Corona diente die Lebensmittelabgabe nicht nur als Einkaufsmöglichkeit, sondern auch als geselliger Begegnungsort. Viele Kunden seien dankbar, auch mal ein Gespräch führen zu können und sich auszutauschen – besonders auch in der jetzigen Zeit. Um die Privatsphäre aller zu schützen, kennen sich alle nur mit Vornamen. «Wir sagen alle Du zueinander, um so etwaige Hemmungen zu senken», sagt Enz.Das Angebot der «Bergulme» nutzen armutsbetroffene Personen aus allen Bevölkerungsschichten, die nur ein kleines Budget für die alltäglichen Ausgaben zur Verfügung haben. Viele haben migrantische Hintergründe oder sind alleinerziehende Eltern.Auch Kleider können abgegeben werdenSeit drei Jahren können auch Kleider im «Rössli» abgegeben werden. Enz: «Ich sage den Leuten dann immer, dass sie ihren gespendeten Mantel vielleicht demnächst wieder im Dorf herumlaufen sehen!» Kleidung, die nicht vermittelt werden kann oder liegen bleibt, gibt Enz an die Gassenküche in St. Gallen weiter. «Wir werfen nichts weg», so Enz. Auch Lebensmittel, die am Dienstagabend noch da sind, werden an eine befreundete Bauernfamilie weitergegeben. Dort wird das Gemüse dann entweder konsumiert, landet im Schweinepferch oder auf dem Kompost.Irma Enz freut sich immer auf die Dienstage. «Am Ende des Tages sind zwar alle erschöpft, aber glücklich. Wir sitzen dann in der Runde und wissen: Ja, heute haben wir wieder etwas Gutes geleistet.»Jeder kann mithelfenDa der «Wägeli-Tag» coronabedingt nicht stattfinden kann, ist der gemeinnützige Verein Haus zur Bergulme über Spenden froh. Am 28. November und am 5., 12. und 19. Dezember können jeweils zwischen 9 und 12 Uhr Spenden in Form von Grundnahrungsmitteln (Zucker, Mehl, Reis) oder Kleidung im ehemaligen Restaurant Rössli in Heiden abgegeben werden. Geldspenden unter Raiffeisenbank Heiden, Haus zur Bergulme, 9410 Heiden; IBAN: CH12 8101 2000 0037 9305 8. (smb) Jede achte Person betroffenIn der Schweiz litten 2018 7,9 Prozent der Bevölkerung oder rund 660 000 Personen unter Einkommensarmut. Am stärksten betroffen waren laut Bundesamt für Statistik Personen in Einelternhaushalten (19,3 Prozent), ausländische Personen aus ost- oder aussereuropäischen Staaten (17,5 Prozent) sowie Nichterwerbstätige (14,4 Prozent). 2018 betrug die Armutsgrenze 2293 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3968 Franken pro Monat für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern. Der Ostschweizer Anteil lag bei 9,8 Prozent, dies gegenüber einem Bevölkerungsanteil von 13,9 Prozent. In der Genferseeregion und im Espace Mittelland sind es je rund 24 Prozent. Angaben zu Ausserrhoden liegen nicht vor. Anhaltspunkte liefert die Sozialhilfequote, die aber nicht deckungsgleich mit der Armutsquote ist. Nicht jeder, der Sozialhilfe erhält, fällt unter die Kategorie Einkommensarmut. 2018 bekamen 1280 Personen mindestens einmal eine finanzielle Hilfe. Die Sozialhilfequote von 2,3 Prozent ist tiefer als das Schweizer Mittel von 3,2 Prozent. Einen Armutsbericht gibt es in Ausserrhoden nicht. Die Problematik wird im Sozial­bericht thematisiert, der voraussichtlich Mitte 2021 zuhanden des Parlaments verabschiedet werden soll. (dsc)  

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