07.02.2022

«Es wäre mehr im Raum zu denken»

Ist die Siedlungsentwicklung der letzten Jahrzehnte ein Grund zur Freude? Nein, lautet die Antwort von Architekt Hubert Bischoff.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Er kann in diesem Jahr den achtzigsten Geburtstag feiern, aber ist noch täglich leidenschaftlich zehn, zwölf Stunden an der Arbeit. Hubert Bischoff ist seit eineinhalb Jahrzehnten Mitglied der Baubewilligungskommission von Wolfhalden, hat bei Projektwettbewerben oft der Jury angehört und wird bei Meinungsverschiedenheiten in Baufragen gern als Gutachter beigezogen. Ein gutes Dutzend seiner eigenen Projekte wurde vom Architekturforum Ostschweiz mit der Auszeichnung «Gutes Bauen Ostschweiz» bedacht.Hubert Bischoff hat über fünfzig Wettbewerbe gewonnen. Zu seinen Bauwerken gehören das Kantonale Baudepartement in St.Gallen, die Turnhalle der Oberstufe Mittelrhein-tal in Heerbrugg, der OMR-Ergänzungsbau, die Umnutzung der ehemaligen Turnhalle in ein Musikgebäude oder die Kulturbühne «Am Bach» in Götzis. Hubert Bischoff, Ihre Mit­wirkung in Baubewilligungskommissionen lässt Sie eine eher nüchterne Bilanz ziehen. Ihre Vorstellungen seien unerfüllt geblieben. Welche hatten Sie denn?Bischoff: Als Baukommissionsmitglied hatte ich gedacht, ortsbaulich und architektonisch lasse sich etwas bewegen. Das ist aber nur beschränkt möglich.Warum ist das so? Weil die Baugesetzgebung weitgehend durch das Messbare bestimmt ist. Verbesserungen sind meistens dann möglich, wenn innerhalb der Kommission die einhellige Meinung besteht, ein bestimmtes Projekt sei nicht bewilligungsfähig. Dann wird die Weiterbearbeitung des Projektes durch den Projektverfasser begleitet, bis es die Anforderungen für eine Baubewilligung erfüllt. Ausnahmslos positiv sind meine Erfahrungen mit Blick auf Wettbewerbsverfahren.Worum geht es bei einer Weiterbearbeitung? Die Absicht ist es immer, die Projektverantwortlichen so zu beeinflussen, dass sie nicht frustriert, sondern motiviert sind, die nötigen Verbesserungen zu erarbeiten.Woran kann es liegen, wenn ein Bauprojekt den Anforderungen nicht genügt? Oft ist es so, dass das Projekt schlecht in die bestehende bauliche Umgebung integriert ist. In einem ersten Schritt ist der Baukörper so zu ändern, dass er in die Umgebung passt. Es folgen Anregungen zur Baukörper- und Fassadenbearbeitung. Zielführend sind Gespräche im kleinen Rahmen, wo die Bauherrschaft oder der Planverfasser weniger der Kritik ausgesetzt ist und sich weniger blossgestellt fühlt. Weil das Grundstück für das Bauvorhaben meist teuer erworben wurde, bestärkt der Preis den Eigentümer in seiner Meinung, er könne das Land so bebauen, wie er sich das vorstellt. Der Baukörper soll ja einen Gewinn abwerfen.Wie stark sind sachbezogene Argumente der Kommission in Bewilligungsverfahren politischem Druck ausgesetzt? Das ist ein heisser Punkt. Im Gespräch mit politisch Verantwortlichen habe ich vor allem bei Grossprojekten festgestellt, dass ein solcher Druck besteht. Es heisst dann jeweils, aufzupassen, dass solche Bauherren nicht abspringen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass Gespräche, die zu Verbesserungen führen, meistens recht gut möglich sind. Ist die Überarbeitung eines Projekts nötig, erfolgt diese normalerweise problemlos.Sie beklagen eine teilweise «baurechtlich abgesicherte Zerstörung» der Bauzonen der Region Rheintal sowie des Appenzeller Vorderlandes. Wer im mittleren oder unteren Rheintal durch die Dörfer fährt, kann über die Siedlungsentwicklung der letzten 50 Jahre kaum erfreut sein. Für alle ausgeführten Bauten wurden Baubewilligungen erteilt und letztlich ist es so, dass das Gebaute Ausdruck unserer Gesellschaft ist. Es sind in hohem Masse Planverfasser und Architekten, die das heutige Bild herbeigeführt haben, wobei die Bewilligungsbehörden ebenso in der Verantwortung stehen.Es geht auch um ästhetisches Empfinden. Kann man das von Ihnen Kritisierte nicht auch schön finden? Kann man schon. Ästhetisches Empfinden hat aber wenig mit Geschmackssache zu tun, sondern mehr mit baukulturellem Verständnis.Verstehe ich Sie richtig: Sie meinen, es gibt neben dem Empfinden allgemein verbindliche Kriterien, nach denen die allgemeine Bautätigkeit in der genannten Region nicht sonderlich ruhmreich ist? So sehe ich es, ja. Die Kriterien betreffen etwa das ortsbauliche Reagieren, die räumliche Einpassung in die Umgebung, die Baukörpergestaltung, den Ausdruck des Baukörpers, die Materialisierung.Sie haben das mittlere und untere Rheintal erwähnt. Sieht es im oberen Rheintal besser aus? Ja, aber nur, weil dort weniger gebaut wurde. Allgemein ist feststellbar, dass schweizweit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Siedlungsentwicklung nicht besser ist als im Rheintal.Sie beklagen eine «Planungseuphorie» und bezeichnen Planungsinstrumente wie Zonenplan, Regionalplanung, Quartierplan, Überbauungs- und Gestaltungsplan als zu wenig zielführend. Weshalb? Nochmals: Fahren Sie durch die Region, sehen Sie die Früchte dieser Planungen. Zu bauen wird aber immer schwieriger, weil es kaum mehr vertretbar ist, den Grünraum weiter zu verkleinern. Zonen-, Quartier- und Gestaltungspläne sollten besser auf die Eigenschaften des Ortes eingehen, also etwa auf Topografie, vorhandene Baustruktur oder Verträglichkeit der Dichte.Finden Sie denn das Verdichten falsch? Nein, im Gegenteil. Das Verdichten ist zwingend nötig. Es muss mehr verdichtet und der noch vorhandene Grünraum möglichst erhalten werden. Es sind aber Grundlagen zu schaffen, die das Verdichten ohne grosse Nachteile für das Vorhandene baurechtlich ermöglichen.Geht es nicht darum, Abmessungen wie Länge, Breite oder Höhe als entscheidende Kriterien verbindlich festzulegen und strikt einzuhalten? Dass das Messbare das wichtigste Element in der aktuellen Baugesetzgebung darstellt, ist offensichtlich. Auf dieser Grundlage ist es für die Bewilligungsbehörden auch am einfachsten, Baugesuche zu bewilligen oder abzulehnen. Diese Voraussetzung war auch primär bestimmend für die Siedlungsentwicklung der Region in den letzten 50 Jahren und hat baulich zu dem geführt, was wir jetzt vorfinden. Das Messbare genügt allein aber eben nicht, um eine gute Siedlungsqualität zu erreichen. Es kommt zum Beispiel vor, dass bestehende Quartiere aus ortsbaulicher Sicht mehr Nähe vertragen würden, als das Baureglement erlaubt.Aber Grössen wie Abstände sind doch speziell für Nachbarn wichtige, weil verlässliche Grössen. Einem Nachbarn wäre aufzuzeigen, was an Verdichtung möglich ist, ohne dass er durch diese Verdichtung zu grosse Nachteile hat. Mit Arbeitsmodellen, die den Bestand räumlich darstellen, lässt sich zeigen, wo Gebäudekubatur zugefügt werden kann und wo nicht. Auf diese Art wäre es möglich, an einer Stelle den Abstand zu unterschreiten oder an einem anderen Ort zu vergrössern. Das heutige Siedlungsbild ist nur von den gesetzlichen Gebäude- und Grenzabständen bestimmt und auch deshalb weitgehend ohne Siedlungsqualität. Ein Problem besteht auch darin, dass die Verschärfung von Verdichtungsvorgaben durch den Gesetzgeber etappenweise erfolgt.Wie liesse sich der noch freie Raum Ihrer Ansicht nach besser bebauen? Wie schon angetönt, nur über eine generelle Richtplanung, die die künftige Bebauung nicht nur in der Fläche, sondern in einem Arbeitsmodell auch räumlich darstellt und trotzdem noch so flexibel ist, dass auf verschie­dene Bedürfnisse eingegangen werden kann.Sie haben vorhin die Zonenpläne als ungenügendes Mittel erwähnt. Sie finden aber auch, dass es sie braucht? Die Zonenpläne braucht es unbedingt. Da Verdichtung und stärkere Nutzungen anstehen und der Grünraum nicht weiter eingeschränkt werden soll, müssen sie aber überarbeitet werden. Dabei ist klar darzustellen, wie verdichtet werden kann und wie auf die verschiedenen Topografien und den vorhandenen baulichen Bestand reagiert werden soll.Warum, denken Sie, leistet das die Zonenplanung heute nicht? Es wird zu stark in der Fläche und zu wenig im Raum gedacht. Dadurch fehlt oft der Bezug zu den örtlichen Gegebenheiten. Zudem sind Zonenpläne zu wenig auf realistische Verdichtungsmöglichkeiten ausgerichtet, von denen die künftige Wohn- und Nutzungsqualität nicht beeinträchtigt würde. Ich bin überzeugt, dass bei einer guten Planung trotz mehr Dichte Grünraum eingespart werden kann, ohne dass die Nutzungsqualität darunter leidet.Wieso, denken Sie, gibt es im Rheintal kaum Dorfplätze? Wahrscheinlich wurde dieses Bedürfnis in den 60er- und 70er-Jahren, also vor dem grossen baulichen Wachstum, unterschätzt. Heute zeigt es sich, dass solche Plätze ein zentrales Bedürfnis wären – aber kaum mehr am richtigen Ort verwirklicht werden können.Wir haben uns in Altstätten getroffen, weil Sie den Altstätter Rathausplatz für ein gelungenes Beispiel halten. Was ist gut an ihm? Als seinerzeit der Wettbewerb für den Bau eines Rathauses und das Freihof-Projekt lief, konnte auch ich teilnehmen. Ausgewählt wurde jedoch ein anderes Projekt – und dies zu Recht. Die heutige Lösung ist die klar beste. Den Ort und den Platz mit dem Bauwerk heute wahrzunehmen, ist ein schönes Erlebnis.Inwiefern? Das Rathaus ist in jeder Beziehung überzeugend in die Umgebung eingepasst. Die neuen Frei- und Übergangsräume zum baulichen Bestand sind allseitig gut nutzbare und stimmungsvolle Aussen- und Verbindungsräume. Man kann sagen: Das Freihof-Rathaus-Projekt wurde für diesen einen und nur diesen Ort erfunden. Dieses Bauwerk ist aus den Gegebenheiten des Ortes heraus entwickelt worden. So sollte es bei jedem Bauwerk sein.

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