18.03.2021

Es kamen sogar Stars ins Rheintal

Ben-Hurs Schwester posierte mit Rheintalern auf Fotos, Peter van Eyck ritt in Oberriet – und „eimol hät’s z’St.Margrethe u vil Chindli geh“.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
In den Fünfzigerjahren waren Kinos so populär wie ihre Werbung übersteigert. Als das Heerbrugger Kino Madlen im Januar 1955 mit "Brückenkopf X" einen "mehrfach preisgekrönten Farbfilm" im Programm hatte, bekam das Publikum versichert, es werde dank der "raffinierten Steigerung" in diesem Film "suggestiv auf die Plätze genagelt".[caption_left: Kinowerbung 1955: Immer wieder stachen die Heerbrugger Kinoinserate im "Rheintaler" hervor.]Ich selbst kam fünf Jahre später zur Welt, versammelte mich als Primarschüler regelmässig mit Kindern aus der Nachbarschaft vor einem der damals noch wenigen Fernsehapparate im Wohnquartier, wurde mit sechzehn Platzanweiser im Altstätter Kino "Odeon" und blätterte letzte Woche im "Rheintaler"-Archiv die Zeitungen von 1955 durch. Da fiel mir auf, dass das Heerbrugger Kino sich die grösste und auffälligste Werbung leistete.In jenem Jahr kamen "Unter Piratenflagge" (mit Errol Flynn, der Kreuzworträtselfans wahrscheinlich auf die Nerven geht), "Der Untergang der Titanic", "O mein Papa" und "Durch die gelbe Hölle" (mit Richard Widmark) auf die Leinwand. Immer unten auf der Inserateseite mit der Kinowerbung konnte man erfahren, was im "Scala" und im "Rex" zu sehen war. Verwundert fragte ich mich, wieso damals St.Galler Kinos im "Rheintaler" warben, dann erkannte ich den Irrtum; das "Rex" existierte in Rheineck, das "Scala" in St.Margrethen.[caption_left: In Rheineck befand sich gegenüber dem Löwenhof (in diesem zum Wohnhaus umgebauten Stall) das Kino Rex.]Der Vorführraum war Teil der WohnungDass mein Schulweg ab der 1. Klasse ausgerechnet am "Odeon" vorbeiführte, konnte sich auf die Pünktlichkeit auswirken. Deutlich faszinierender als der Aushang zu meinem ersten Kinofilm ("Bambi") waren ein paar Jahre danach die Plakate zum Mafiafilm "The Godfather" (auf Deutsch: "Der Pate") mit Marlon Brando - nach dem (zufällig!) mein erwachsener Sohn benannt ist).In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre liess ich mich von Fury (dem Pferd), Flipper (dem klugen Delphin) und Skippy (dem Buschkänguruh) zwar nicht auf den Sitz nageln, aber tierisch unterhalten. Die Familie von Willi Jähn, der im St.Margrether "Scala" die Filme vorführte, bekam erst 1972 ein Fernsehgerät. "Auf die Olympiade in Sapporo hin", berichtet die heute in Gossau lebende Tochter Marianne Jähn. Gut möglich, dass der Vater sich zu diesem Kauf überwinden musste, immerhin schlug sein Herz für die Kinoleinwand.Der Vorführraum war Teil der Wohnung. Bestimmt zweimal im Jahr konnten Marianne Jähn und ihre Schwester Gisela keinen Schlaf finden. An Ostern und Weihnachten, wenn das Kino geschlossen war, vermissten sie das vertraute Geräusch des Filmprojektors.Die Jähns wohnten gleich hinter dem Bahnübergang neben dem "Erica". Im Parterre des einstigen Kinos mit 250 bis 300 Plätzen ist heute ein Reisebüro eingerichtet.[caption_left: Das Kino Scala in St. Margrethen befand sich beim Bahnübergang neben dem «Erica».]Das "Rex" war einst der Stall des LöwenhofsMarianne Jähn, die Ende März den 65. Geburtstag feiert, war 16, als die Familie zügelte. Die "Scala"-Eigentümerfamilie Schroff hatte das Kino geschlossen, das Haus wurde verkauft.Hermann Julius Schroff besass nicht nur das Kino in St.Margrethen, sondern auch das "Rex" in Rheineck. Sein Grossvater Eugen Schroff, Eigentümer zweier Kinos in Weinfelden, hatte die einstige Stallung des Rheinecker Löwenhofs umgebaut und in ein Lichtspieltheater verwandelt.Hermann Schroff, der "Rex" und "Scala" führte, war Jurist. Das erzählt der im Kanton Schwyz lebende Gerd Schroff, einer der drei Söhne (und insgesamt sechs Kinder) des früheren Kinobesitzers. Gerd Schroff hatte in jungen Jahren eine Zeitlang als Operateur gewirkt, derweil eine Schwester die Kasse bediente.Gerd Schroff ist inzwischen pensionierter Swiss-Pilot, aber noch als Prüfer und Instruktor tätig. Als sowohl das "Rex" als auch das (zwei, drei Jahre später geschlossene) "Scala" nicht mehr existierten, zügelten die Schroffs nach Bern. Zehn bis fünfzehn Jahre vom Pensionsalter entfernt, nahm Vater Hermann Julius Schroff im Eidgenössischen Personalamt eine Stelle an.Star posierte mit Jähns und Schroffs für ein FotoMit Marianne Jähn teilt Gerd Schroff eine schöne Erinnerung. Vor sechs Jahrzehnten kam Cathy O'Donnell ins Rheintal, zu Jähns und zu Schroffs. Die einst berühmte amerikanische Filmschauspielerin , die keine fünzig wurde, spielte unter anderem die Schwester von Ben-Hur. Mit James Stewart war sie in dem Film "Der Mann aus Laramie" zu sehen. In St.Margrethen beschritt Cathy O'Donnell vor sechs Jahrzehnten den roten Teppich und posierte mit den Jähns und mit den Schroffs für Erinnerungsfotos. Marianne Jähn hat ihres noch, Gerd Schroff wahrscheinlich nicht.[caption_left: Das Foto mit Cathy O'Donnell ziert eine persönliche Widmung: "Good luck to family Jähn." (Viel Glück bzw. Alles Gute für Familie Jähn.)]"Ben Hur" sei sehr lange gelaufen, weiss Marianne Jähn. Ein anderer Film, einer von insgesamt acht Streifen des Sexualaufklärers Oswalt Kolle, habe nachgewirkt. "Nü Mönät später hät's z'Sankt-Margrethe uu vil Chindli geh", erzählt die Tochter des ehemaligen Operateurs amüsiert und fügt hinzu, sie wisse auch die Preise noch genau: Für 3 Franken 30 habe man auf der Estrade in den Sessel sinken dürfen, für 2 Franken 20 auf jedem anderen Platz.Ein "Odeon"-Höhepunkt am 14. Januar 1986Im oberen Rheintal schloss 1984 das Kino "Kamor". Hier war ich ein einziges Mal, als Zwanzigjähriger mit drei Kollegen. In der Meinung, den Film über "Woodstock" als Reprise erleben zu können, waren wir mit dem Velo von Altstätten nach Oberriet gefahren. Tatsächlich war an jenem Tag jedoch die Verfilmung der "Blechtrommel" des deutschen Autors Günter Grass im Programm.Die kürzlich 70 gewordene, in Oberriet lebende Elisabeth Bont hat manchmal anstelle der Mutter Frieda Heeb die Plätze angewiesen (etwa wenn die Mutter an der Kasse war), Vater Hans führte die Filme vor. Eigentümer war Engelbert Schreiber, nach dessen Tod im Jahr 1958 die im Fürstentum Liechtenstein lebende Gattin Elisabeth das Kino übernahm.[capiton_left: Das ehemalige Oberrieter Kino Kamor an der Bahnhofstrasse ist heute das evangelische Kirchgemeindehaus.]Peter van Eyck war öfter in OberrietElisabeth Bont hat den häufigen Besuch des berühmten Schauspielers Peter van Eyck (1913-1969) in Erinnerung. An jedem Oberrieter Reitfest sei er auf der Sonnenwiese (wo heute der Coop steht) selbst geritten. Als einstiger Besitzer des St.Margrether Schlosses Bergsteig hat Peter van Eyck dort auf dem katholischen Friedhof die ewige Ruhe gefunden. Elisabeth Bont hat "auch schon" eine Rose abgelegt.Derweil aus dem Oberrieter Kino das evangelische Kirchgemeindehaus geworden ist, hat in Altstätten der Geschäftsmann Toni Inauen das "Odeon" zu einem Haus für Zweiratsport gemacht. Das erste Altstätter Kino war tief in der Stummfilmzeit im späteren Bata-Schuhhaus in Altstättens Marktgasse eröffnet worden, ehe es in einen Neubau ausserhalb des Zentrums zügelte. Der Vorführraum ist noch vorhanden; Toni Inauen und seine Frau nutzen ihn als Wasch- und Mehrzweckraum. Ein paar Schritte weiter zeugt ein letzter Rest des roten Kinobalkonteppichs von der alten Zeit.Nach einer glanzvollen "Odeon"-Ära war das Programm in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre von Action-, Karate- und Erwachsenenfilme geprägt. Nachdem die in Marbach lebende Susanne Oehy das Kino (von einer Frau Müller) übernommen hatte, war das Kino öfter rammelvoll. Susanne Oehy erzählt, vor allem Komödien seien beliebt gewesen. Seien Terence Hill und Bud Spencer, der deutsche Komiker Otto oder Dustin Hofmann im Melodrama "Rain Man" zu sehen gewesen, hätten immer wieder Ersatzstühle herbeigeschafft werden müssen, damit alle 300 Besucherinnen und Besucher Platz fanden.[caption-left: Wo sich einst das Altstätter Kino Odeon befand, betreibt heute Toni Inauen sein Geschäft für Zweiräder.]Gislers Erstling hatte im „Odeon“ PremiereEine "witzige Episode" habe sich Ende der Achtzigerjahre an einem Sonntag ereignet, sagt Susanne Oehy. Mit ihrem Mann und der 1987 geborenen Tochter sei sie nach einem Familienspaziergang zur Nachmittagsvorstellung gekommen, als im Vorführraum ein Chaos herrschte. Der Filmstreifen hatte nicht eingehakt, es lag ein Riesenhaufen auf dem Boden und Susanne Oehy vertröstete das Publikum mit Gratisglace. Über eine Stunde sei geduldig gewartet worden, bis der Film doch noch habe gezeigt werden können. Bald darauf endete eine "tolle Zeit", weil Fernsehen und Videos die Zuschauerzahlen hatten einbrechen lassen.[caption_left: Im ehemaligen Altstätter "Odeon" ist der Vorführraum nun ein Mehrzweckraum.]Ein später kultureller Höhepunkt wurde am 14. Januar 1986 erreicht. An diesem Tag fand die Premiere des hundertminütigen Schwarzweissfilms "Tagediebe" statt. Er stammt vom Altstätter Regisseur Marcel Gisler, der seither mit Werken wie "Rosie" oder "Electroboy" in eine höhere Liga aufgestiegen und für "Electroboy" mit dem Schweizerischen Filmpreis ausgezeichnet worden ist. Entsprechend ist es mir natürlich eine Ehre, mit ihm sowohl in der Sek als auch danach in der Kanti der gleichen Klasse angehört zu haben. Sollten wir uns wieder einmal treffen, ist die Chance nicht klein, dass es im einzigen überlebenden Kino des St.Galler Rheintals sein wird - in Heerbrugg, im "Madlen". Es hat alle anderen Rheintaler Kinos um 30 oder noch mehr Jahre überlebt. Die konkurrenzlos grosse Kinowerbung vor Jahrzehnten hat sich für das "Madlen" offenbar auf lange Sicht gelohnt.[caption_left: Ein kleiner Rest des Balkonteppichs im "Odeon" erinnert an eine glorreiche Kinozeit.] 

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