29.08.2022

«Es ist ein schmaler Grat»

Ein Video zu betrunkenen Sennen beim «Öberefahre» erregt die Gemüter. Jetzt äussern sich Polizei und Bauernvertreter.

Von Mea Mc Ghee
aktualisiert am 02.11.2022
Videos von Sennen und Bauern, die während der Alpabfahrt torkelnd unterwegs sind und die an den Strassenrand pinkeln, sorgten am Wochenende für Gesprächsstoff, nachdem sie in verschiedenen Medien veröffentlicht wurden. Während die einen finden, die Betroffenen sollten sich in «Grund und Boden schämen», meinen andere, es sei nicht angebracht, derartige Bilder zu veröffentlichen, zumal es sich wohl um einen Einzelfall gehandelt habe.Auch nichtalkoholische Getränke anbietenBeat Brunner, Präsident des Ausserrhoder Bauernverbandes, sagt: «Es ist eine unschöne Sache. Das sind nicht die Bilder, die wir sehen wollen.» Es gehöre aber zur Tradition, dass beim «Öberefahre» vor Gasthäusern oder von Privatpersonen «useghebet» wird und den Begleitpersonen des Senntums Getränke angeboten werden. Je nach Weg sind die Bauern mit ihrem Vieh manchmal mehrere Stunden unterwegs. Die Sennen essen unterwegs nichts oder nur wenig. Da könne es schon sein, dass einer den Alkohol spüre, findet Beat Brunner. Er appelliert daher an diejenigen, die «usehebet», auch nichtalkoholische Getränke anzubieten. Denn: «Für die Bauern und Sennen ist es ein schmaler Grat. Schliesslich wäre es nicht anständig, nichts vom angebotenen Getränk zu konsumieren.»Er selber fahre nicht z’Alp mit dem Vieh und könne daher nicht beurteilen, ob es sich bei den gefilmten Szenen um einen Einzelfall handle. Beat Brunner findet aber: «Man muss sich im Griff haben und die Sicherheit von Mensch und Tier muss gewährleistet sein.»Bei einem Senntum sind viele Leute dabei: Gässbueb, Gässmeitli, Vorsenn, danach die vier Sennen hinter den drei Schellenkühen, der Bauer, jemanden, der den Stier führt, der Führer des Lediwagens und meist weitere Helferinnen und Helfer. Wichtig sei, dass die Sennen, die vorne im Zug gehen, die Tiere unter Kontrolle hätten, so Beat Brunner.Polizei begleitet Alpfahrten auf KantonsstrassenUnd wie beurteilt die Ausserrhoder Kantonspolizei den Sicherheitsaspekt? Dominic Schwarz von der Medienstelle sagt: «Alpfahrten mit sechs Senntümern und mehr werden von Einsatzfahrzeugen der Kantonspolizei auf Abschnitten mit Kantonsstrassen begleitet.» Die Mitarbeitenden der Polizei leiten wenn möglich den entgegenkommenden Verkehr an den Strassenrand oder halten diesen an. Auf Neben- und Gemeindestrassen seien keine Polizeifahrzeuge im Einsatz und die Bauern müssten selbst um die Sicherheit besorgt sein.Zu den konkreten Szenen der Videobilder aus Schwellbrunn kann die Ausserrhoder Kantonspolizei sich nicht äussern, da sie nicht vor Ort war und auch keine Meldungen dazu eingegangen seien, so Schwarz. Seines Wissens habe die Polizei noch nie intervenieren müssen, wegen angetrunkener Begleiter eines Senntums. Durch das Vieh verursachte Schäden an Fahrzeugen kämen vor und seien Versicherungsfälle. Landwirt und Fahrzeughalter würden dies untereinander regeln. Bei Fussgängern gebe es keine Promillegrenze, welche polizeiliches Eingreifen vorschreiben würde. Wie alle Verkehrsteilnehmenden dürften Fussgänger aber keine Unfälle verursachen. «Sobald bei einem Vorfall das Strassenverkehrsgesetz tangiert werde, würde die Polizei intervenieren», sagt Dominic Schwarz.Insgesamt gibt es in Ausserrhoden rund 110 Sömmerungsbetriebe. Diese werden jedoch nicht alle von Landwirten aus dem Kanton bestossen, und es gibt auch Ausserrhoder Landwirte, die mit ihren Tieren auf Alpen in anderen Kantonen gehen. Lukas Kessler, Leiter des kantonalen Amtes für Landwirtschaft, schätzt, dass rund 50 Ausserrhoder Bauern traditionell «öberefahren». Er sagt: «Diese Bilder stellen eine Ausnahme dar und stehen nicht für die grosse Anzahl Senninnen und Sennen, die die Tradition der Alpfahrt pflegen.»Die Tourismusorganisationen im Appenzellerland zeigen auf ihren Plattformen und Kanälen gerne Bilder von Brauchtum und Alpleben. Bei Appenzellerland Tourismus AR möchte man sich auf Nachfrage jedoch nicht zu den Videos äussern. Der Ball solle flach gehalten werden, findet Geschäftsführer Andreas Frey.

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