02.07.2020

Erinnerung ans Tuuuuuut

Seit 150 Jahren besteht der «Rheintaler» als Zeitungstitel. Aus diesem Anlass entstand dieser Text, der aus redaktioneller Sicht die letzten zwei Jahrzehnte überblickt und unter anderem ans Tuuuuuut erinnert.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
In den letzten zwei Jahrzehnten waren die «Rheintaler»-Redaktion und ihr internes Umfeld bestrebt, zwei grosse Irrtümer aus der Welt zu schaffen. Weil es bloss teilweise gelungen ist, hier eine kleine Repetition:  Das Rheintaler Medienhaus ist unternehmerisch und kapitalmässig eigenständig und nur ein Zusammenarbeitsvertrag verbindet es mit dem St.Galler Tagblatt.Der zweite Irrtum wird seit dem Jahr 2011 in der Frage zum Ausdruck gebracht, wie lange es die «Rheintalische Volkszeitung» noch geben werde. Verlagsintern war die Einstellung nie (!) ein Thema. Seit 2011 entstehen «Volkszeitung» und «Rheintaler» unter dem gleichen Dach und mit weitestgehend identischem Lokalinhalt. Noch mehr als früher versteht die Redkation beide Zeitungen – wie 2011 versprochen – als Forumsblätter, die «nach allen Seiten offen» sind. Interessanterweise führten bei unserer Leserschaft auch kaum politische Beiträge zu Unmut oder besonderen Wünschen. Was nach der Fusion lange beschäftigte, waren die (nicht mehr publizierten) Heizölpreise oder das TV-Programm.LKW-Hupkonzerte und umstrittene PläneRufen wir uns Themen in Erinnerung, die ein besonderes Echo auslösten, so lässt sich spontan an den Auer Kreisel (2008) denken oder an den ersten Lastwagen-Treff auf der Altstätter Allmend (2015). Die ironische Kolumne mit dem Titel «Tuuuuuut», die sich auf nächtliche Hupkonzerte von LKW-Fahrern bezog, erregte deren Zorn. Sie reagierten auf ihre Weise, durchaus originell, indem sie bei der Redaktion in Berneck ein nicht ganz fröhlich gemeintes Tuuuuuut erschallen liessen, wann immer sie mit dem Lastwagen vorbeifuhren. (Schon der zweite Lastwagen-Treff verlief mustergültig, und heute dürften auch die Kritisierten über diese Episode lachen.)Zu den ernsten grossen Themen zählte der Versuch, die fünf mittelrheintalischen Gemeinden zu einer Stadt zusammenzuschliessen. Ein umfangreicher Projektbericht setzte die Diskussion 2004 in Gang, die in die Urnenabstimmung vom 17. Juni 2007 in allen fünf Gemeinden des Mittelrheintals mündete. Die Bevölkerung liess das G5-Projekt kolossal scheitern und richtet in der jüngsten Zeit den Widerstand vermehrt gegen moderne 5G-Mobilfunktechnik, was in Zeitungsartikeln zum Ausdruck kommt.Es gibt auch ein zurückgekehrtes Thema, das die Menschen (wieder) sehr bewegt und als Musterbeispiel für die einstige Konkurrenz zweier Lokalzeitungen herhalten kann. Gemeint ist die Spitaldiskussion. Als im März 2004 die Frau des damaligen St.Galler Gesundheitsdirektors die Redaktionen zu einem positiven Beitrag ermunterte (was, nebenbei bemerkt, ihr gutes Recht gewesen war!) und die «Volkszeitung» der Bitte nachkam, fragte der «Rheintaler» in seiner (schon damals bestehenden) Rubrik «Stichwort»: «Liebe Volkszeitung, hat dich auch die Frau des Regierungsrats angerufen…?»Online-Auftritt erfolgte erstaunlich frühGeblieben ist die Lust auf konstruktive Auseinandersetzung, die alle Stürme und Veränderungen überdauert hat. Und solche gab es viele. Selbst die 20-jährige Verbundenheit zum Unternehmen schützt nicht vor Erinnerungslücken. Nur schon die Namen! Aus der Rheintaler Druckerei und Verlag AG wurde die Rheintal Medien AG, die beiden Tageszeitungen «Rheintaler» und «Rheintalische Volkszeitung» erschienen im Rheintal Verlag, jüngst wurden die Rheintal Medien zur Galledia Group AG, und unsere Tageszeitungen erscheinen jetzt bei der Galledia Regionalmedien AG. (Entsprechend oft gab es neue Visitenkarten.)Grosses Überraschungspotenzial hat aus heutiger Sicht die Erwähnung des Zeitpunkts, zu dem unser Medienhaus seine erste Online-Plattform lancierte. Praktisch jeder Rheintaler und jede Rheintalerin kennt das 2014 in Betrieb genommene Portal rheintaler.ch, doch schon lange vorher erkannte das Medienunternehmen das Potenzial von Online-Nachrichten. Mit myrheintal.ch sammelte die Redaktion erste Erfahrungen – sage und schreibe schon 2008!Wie die Bedeutung der elektronischen Medien zunahm, konnte auch die Sportredaktion mitverfolgen: Als 1995 erstmals die Rheintaler Sportlerwahl stattfand, stimmten die Rheintaler und Rheintalerinnen ausnahmslos brieflich für ihren Sportler und die Sportlerin des Jahres. Inzwischen geben jeweils rund 80 Prozent der Teilnehmenden ihre Stimme auf rheintaler.ch ab.Apropos Rheintalerin: Am 14. Juni 2019 war unsere Tageszeitung nach ihr benannt. Die Frauen machten am Frauenstreiktag auf ihre Anliegen aufmerksam, und die Redaktion setzte mit ihrer Lokalausgabe unter dem Titel «Die Rheintalerin» ein deutliches Zeichen, was ein fast so grosses Echo zur Folge hatte wie unser «Tuuuuuut» ein paar Jahre zuvor. Natürlich wird auch immer wieder gern von Angesicht zu Angesicht mit Leserinnen und Lesern diskutiert, was fünf Tage nach dem Frauenstreiktag in Au-Heerbrugg geschah. Dort hielt sich die Redaktion mit dem Redaktionswagen auf, der schon seit 2004 Jahr für Jahr fünf oder sechs Gemeinden besucht. Ebenso sind unser Verlag und die Redaktion stets an der Rheintalmesse präsent, die nicht durchgehend Vergnügen bereitete: 2013 schlitterte die Messe haarscharf am Konkurs vorbei, was entsprechende Schlagzeilen zur Folge hatte.Eine Redaktion steht unter öffentlicher BeobachtungEin Journalist mit scharfem Blick auf das Geschehen war René Schneider, der im April 2016 frühzeitig in den Ruhestand übertrat. Anders als in einer Schreinerei oder bei einer Versicherung, wo «nur» ein begrenzter Kundenkreis eine solche Veränderung zur Kenntnis nimmt, steht eine Redaktion unter öffentlicher Beobachtung. René Schneider, der einstige Lehrer aus Diepoldsau, hatte den «Rheintaler» 25 Jahre lang mitgeprägt – mit unbequemen Fragen in Interviews, überraschenden Aspekten in Reportagen und pointierten Kolumnen.Wird der Einsatz von der Leserschaft geschätzt, bereitet dies natürlich Freude. Sogar von institutionell fachkundiger Seite kam 2014 Anerkennung  - für eine Leistung des damaligen «Rheintaler»-Redaktors Samuel Tanner: Für einen Text in der «Ostschweiz am Sonntag» erhielt er den Medienpreis für Lokaljournalismus.Der «Rheintaler» wird einem grossen Teil der Leserschaft seit Oktober 2015 übrigens aus dem gleichen Haus zugestellt, in dem sich die Redaktion befindet. Denn wo einst der grosse Akzidenzdruck war, ist heute die Postzustellung eingemietet. Von hier erreicht unsere Zeitungsabonnenten hiermit ein herzlicher Dank für die Treue, in Verbindung mit der Bitte, sich diesen Dank lautstark vorzustellen, als kräftiges Tuuuuuut.  

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