Andrea C. PlüssWohl 25 Jahre sei es her, dass er das letzte Mal hier gewesen sei, im Grenzgebiet, im Lustenauer Rohr, sagte Ständerat Paul Rechsteiner am Samstag. Einer, der sich ein Jahrzehnt lang für die Rehabilitierung des St. Gallischen Polizeikommandanten Paul Grüninger eingesetzt hat, der wegen seines Handelns 1939 verurteilt und aus dem Dienst entlassen worden war. Er sagt: «Paul Grüninger ist der wichtig- ste Rheintaler, St. Galler und Schweizer.»Die Themen Flucht und Flüchtende, Grenzen und die Überwindung derselben sind heute so aktuell wie sie 1938/39 waren, als Grüninger, ausgebildeter Lehrer und ein grosser Sportfan, als Polizeikommandant für die Grenzübergänge in Diepoldsau und Widnau zuständig war. Mit dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich geriet auch dort vor allem die jüdische Bevölkerung in Gefahr. Seit März 1938 kamen immer mehr Menschen über den Flüchtlingsweg von Hohenems nach Diepoldsau oder Widnau und zogen von dort meist weiter nach St. Gallen. Von seichten Stellen im Wasser, wo sich die Schweizer Seite gut erreichen liesse, hörten manche Verfolgte bereits in Wien. Nachdem für die Einreise in die Schweiz die Visumspflicht eingeführt worden war und ab August 1938 Juden die Einreise untersagt war, liess Grüninger deren Einreise zu. Die Papiere wurden vordatiert, die Menschen konnten einreisen und waren gerettet. Ungeklärt sei, inwieweit Paul Grüninger aktiv oder passiv agierte, sagte Rechsteiner. Von der Hängebrücke in Diepoldsau aus war eine Gruppe Interessierter am Samstagvormittag über den Rheindamm zum Rohr gelaufen. Den An- lass organisiert hatte die Marbacher Gemeinderätin Irma Graf. Unterwegs las Berta Thurnherr Geschichten vor, die sie von Zeitzeugen der Kriegsjahre erfahren und dokumentiert hatte. Einmal ist davon die Rede, dass ein Grenzsoldat angab, erst den Polizeikommandanten fragen zu müssen, bevor er über den Verbleib einer Flüchtlingsfamilie entscheiden könne.Steht man, wie die Gruppe, die sich auf Spurensuche begab, dort im Rohr, scheint das Geschehen von damals ganz nah. Paul Grüninger starb 1972 verarmt. Er habe nur seine Menschlichkeit walten lassen, betonte er stets. Seiner heute 96-jährigen Tochter Ruth Roduner gelang es im zehnten Anlauf ihren Vater zu rehabilitieren.Mit der vom Kanton erhaltenen finanziellen Wiedergutmachung rief die Familie die Paul-Grüninger-Stiftung ins Leben, die alle vier Jahre einen Menschenrechtspreis vergibt. Paul Rechsteiner ist Mitglied im Stiftungsrat.