30.08.2020

Er macht weite Schulwege kurz

Bis zu 160 Kinder lässt die Schule Altstätten jeden Tag heranfahren: mit Schulbussen, mit Schultaxis, ja sogar das Gaiserbähnli dient als Fahrzeug für den Schülertransport. Wir sind einmal im Schulbus von Roger Werlen mitgefahren.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Die Sonne steht noch tief über den Vorarlberger Bergen, als Roger Werlen kurz nach sieben Uhr mit seinem Schulbus von der Trogenerstrasse gegen die Listhüser und den Kornberger Kapf hinauf abbiegt. Die Kindergärtler und Schüler vom Berg müssen beizeiten aufstehen, damit sie parat sind, wenn der Schulbus kommt. Neun Kinder lädt Werlen an diesem Freitagmorgen auf. Ihre Elternhäuser liegen rund 300 Höhenmeter über der Stadt mit den Kindergärten und Schulhäusern, in die sie gehen. Sie leben hier paradiesisch, weitab vom Trubel der Stadt, mit phänomenaler Aussicht, aber halt abgelegen.Das Volksschulgesetz schreibt den Schulen vor, für Schülerinnen und Schüler mit einem unzumutbar langen oder beschwerlichen Schulweg einen Transport anzubieten. Weil Altstätten dermassen weitläufig ist, haben viele Kinder einen mehrere Kilometer langen Schulweg. Nicht nur am Berg, auch im Riet.Töffli fahren schon mit 13Den älteren wird zugemutet, dass sie auch einen langen Schulweg selbst zurücklegen, jedenfalls im Sommer. In der Ebene mit dem Velo. Die Oberstufenschüler am Berg dürfen mit einer Empfehlung der Schule beim Strassenverkehrsamt ein Gesuch fürs vorzeitige Ablegen der Prüfung fürs Töffli oder fürs E-Bike einreichen. Den Winter über dürfen die Oberstufenschüler dieselben Transportmittel benutzen, mit denen die Kleineren auch den Sommer über zur Schule fahren. Dafür ist eine aufwendige Planung nötig: Für diesen Winter hatte das Schulsekretariat nämlich für 158 (von insgesamt 1009) Kindergärtler und Schüler eine Transportmöglichkeit zu organisieren.Dank der Schule fährt noch ein Bus den Kornberg hinaufDabei setzt die Schule Altstätten nicht nur auf Schulbusse, sondern nutzt auch die öffentlichen Verkehrsbetriebe: Vom Ruppendörfli herab fahren die Kinder mit einem RTB-Bus. Deswegen gibt es unter der Woche überhaupt noch eine öffentliche Busverbindung den Kornberg hinauf. Halt nur wenige Male am Tag und auch nur, wenn nicht gerade Schulferien sind. Aber immerhin. Bei RTB Rheintal Bus bestellt die Schule Altstätten ausserdem den Winter über drei tägliche Buskurse für die Oberstufenschüler von Eichberg und Hinterforst. Und den Kindern, die am Warmesberg und Stossberg in der Nähe einer Haltestelle wohnen, dient die Gaiserbahn als Schulzug. Jene Kinder, die sogar abgelegen von Haltestellen des öffentlichen Verkehrs daheim sind, werden von Schultaxis und Schulbussen eingesammelt.Solche Schulbusfahrten können vergnüglich sein. Im Bus von Roger Werlen läuft oft das Radio. Die Kinder lieben Musik, hat er schon bald festgestellt, nachdem er vor sechs Jahren zusammen mit seiner Frau Maja den Auftrag für die Kornberg-­Tour übernahm. Er machte mit ihnen einen Deal: Eine Woche läuft das Radio, die andere Woche dürfen sie ihre eigenen Musik-CDs mitbringen. Bitte nicht Helene FischerDabei hat Werlen allerdings nicht bedacht, dass die Kinder womöglich einen Musikstil mögen, der ihm gar nicht liegt. Tatsächlich brachte eines eine CD mit Schlagermusik mit. Werlen fand eine Lösung: «Ich hab mich mit ihm geeinigt: Die Helene-­Fischer-CD bleibt zu Hause.»Die Kinder vom Berg seien «Goldschätz», meint Roger Werlen; sie seien lieb zueinander, die grösseren helfen den kleineren beim Angurten. Während der Fahrt mit dem Journalisten auf dem Beifahrersitz sind die Kinder mucksmäuschenstill. Man merkt, wenn Vollmond istDas ist sonst nicht so, berichtigt Roger Werlen den Eindruck: «Man merkt’s, wenn Vollmond ist, wenn die Kinder in der Schule Frust oder auch Aufstellendes erlebt haben oder wenn sie gegen Mittag Hunger haben.» Im Schulbus gelten aber strikte Regeln. Es wird weder gegessen noch getrunken, und geflucht oder miteinander gerangelt wird erst recht nicht. Sicherheit geht allem anderen vor, selbst der Pünktlichkeit, hält Werlen fest. Das sei auch in seinem Vertrag mit der Schule festgehalten. Werden die Kinder älter, versuche immer wieder mal eines, die Grenzen auszuloten. Bisher hat jedes gegen den Schulbusfahrer den Kürzeren gezogen. Er muss dazu nicht einmal laut werden –im Gegenteil: Roger Werlen hat eine faszinierend ruhige Art, die er im Konfliktfall gezielt einsetzt. «Wenn ein Kind nicht spuren will, halte ich an, steige aus, gehe nach hinten und mache klar, dass ich erst weiterfahren werde, wenn Ordnung herrscht.» Werlen hätte wohl einen exzellenten Lehrer abgegeben. Doch er winkt ab: Früher vielleicht, als die Lehrerinnen und Lehrer noch Respektspersonen waren. Wenn er aber höre, wie heutzutage manchenorts Eltern bereits versuchten, mit dem Anwalt gegen schlechte Noten ihrer Kinder vorzugehen, würde er nicht Lehrer sein wollen, meint er.Corona hat das Einkommen schmerzlich beschnittenRoger Werlen war nach einer Mechanikerlehre Lokführer und ist auch Intercity-Züge gefahren. Später belieferte er für eine Medikamentengrosshandlung Apotheken. Eine Weile fuhr er Brot aus. Heute bieten er und seine Frau abends auch Lebensberatungen an. Vom Schulbusfahren allein könnten sie nicht leben. Dieses Jahr wegen Corona erst recht nicht, weil die Schulbusfahrten über mehrere Monate ausfielen.Eine Viertelmillion pro Jahr für SchülertransporteDie Schule betreibt die Schulbusse nämlich nicht selbst, sondern hat selbstständige Unternehmer damit beauftragt, neben Roger und Maja Werlen das Taxiunternehmen Rheintal Taxi. Trotz dieser sparsamen Lösung wendet die Schule Altstätten eine stattliche Summe für die Schülertransporte (Schulbusse und öV-Abos) auf. 2019 waren es rund 250'000 Franken, eine Viertelmillion. Das dürfte für die Schule freilich immer noch um einiges günstiger sein, als wenn sie nebst den Schulhäusern in der Stadt auch noch Aussenschulhäuser unterhalten müsste, von denen es früher am Berg mehrere gab.

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