18.01.2021

Er ist auf Zeit zurückgegangen

Hannes Hagen ist mit Kultur – wie dem Szene-Openair – nicht ausgelastet. Er nutzt die Zeit und pflegt Covidpatienten.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der LindenHannes Hagen lebt in Lustenau. Die Menschen beidseits des Rheins kennen ihn als Organisator des Szene-Openairs. Das Festival ist jeden Sommer ein kultureller Treffpunkt am Alten Rhein beim Grenzübergang Schmitter. Seit mehr als dreissig Jahren. Die 31. Ausgabe fiel der Pandemie zum Opfer. Sie soll dieses Jahr nachgeholt werden.Die gewonnene Zeit weiss der Eventmanager zu nutzen. Er erzählt davon an dem Ort, an dem er sonst die Menschen zusammenbringt: Am Alten Rhein in Lustenau. Der einzige Punkt, an dem die Journalistin ihn treffen darf, liegt in der Mitte des «Schmugglerrohrs». Die Grenze zu überschreiten, wäre sowohl für ihn als auch für sie mit einer Quarantäne verbunden.In einem Monat die Routine zurückerlangtAls das Coronavirus im März des vergangenen Jahres Ursache des ersten Lockdowns war, kontaktierte das Landeskrankenhaus Bregenz den Eventmanager. Der dortige Pflegedienstleiter wollte Hannes Hagen als Intensivpfleger anwerben. Genauer gesagt, er wollte ihn reaktivieren. Hannes Hagen hat Erfahrung als Intensivpfleger. Sein Diplom legte er im Jahr 1997 ab. Bis 2007 war er in Bregenz in der Intensivpflege tätig und sieben weitere Jahre im Notfalldienst.Im Frühjahr brachte der Lustenauer sein Wissen auf den aktuellen Stand. Er erwarb alle nötigen Zertifikate und frischte seine Pflegerroutine auf. «Die erste Welle erwies sich in Vorarlberg als nicht so schlimm wie erwartet», sagt Hannes Hagen. Nach einem Monat als Intensivpfleger wurde er Mitarbeiter auf Abruf.Seit Beginn der zweiten Welle leistet er regelmässig Dienst an Covidpatienten auf der Intensivstation. Solange, bis sich die personelle Lage entspannt hat. Das dürfte dauern. 3000 Überstunden haben sich angehäuft. «Der Pflegedienstleiter hätte gern, ich bliebe fix», sagt Hannes Hagen. Das könne er aber nicht versprechen. « Sobald alles wieder hochgefahren wird, brauche ich meine Energie für die Kultur.» Zwei Monate im Voraus kann das Landeskrankenhaus nun auf ihn zählen.Für das Szene-Openair engagiert sich Hannes Hagen seit 1995. Sich zum Pfleger ausbilden zu lassen und als solcher zu arbeiten, war ihm ein zweites Standbein, bot ihm Sicherheit.Herzblut für zwei Gegensätze«Ich wollte mich nicht entscheiden», sagt er. Sein Herzblut hing an den Events und am Spital. Irgendwann aber war der Punkt gekommen, an dem er einem Metier den Vorzug geben musste. Es war die Kultur. «Sie ist mein eigenes Baby.»Er hatte es nicht als verantwortbar angesehen, einer der beiden Aufgaben womöglich nicht mehr gerecht werden zu können. Probleme hatte es allerdings keine gegeben. Hannes Hagen gefragt, was ihm an den komplett entgegengesetzten Bereichen so sehr gefällt, dass er in beiden Berufen beheimatet ist: Die Intensivstation ist steril, ernst und traurig. An Konzerten zeigen die Menschen Lebensfreude: «Es geht immer um Menschen und Emotionen», antwortet er selbst.«Mit Covid ist die Pflege frustrierender»Hin und wieder überlegte Hagen, in die Pflege zurückzukehren. «Ich konnte mir aber nie ein Szenario vorstellen, in dem es in der Kultur kritisch werden könnte», sagt er. So fest sei er im Sattel gesessen. Das Coronavirus hat seine Vorstellungen gesprengt. Nun engagiert er sich anders für die Gesellschaft – für schwer Erkrankte und seine früheren Arbeitskollegen – rund ein Drittel der ursprünglichen ist noch im Dienst. Der Eventmanager ist jetzt nicht der Chef, sondern Teil eines Teams.Hannes Hagen ist sicher, das Richtige zu tun. Es gab in der zweiten Welle aber auch Momente, in denen er überlegte, ob die Pflegearbeit gut für ihn ist. Er erlebt nämlich auch tragische und belastende Situationen: «Ich habe es gern, wenn ein Patient einen stabilen Verlauf hat, an dessen Ende die Genesung steht», sagt er. «Mit Covid ist die Pflege frustrierender.» Die Krankheitsverläufe sind schlimmer und Notfallsituationen dramatischer als es sonst auf der Intensivstation die Regel ist. «Irgendwann kann man nichts mehr machen, nur noch mit Medikamenten die Symptome lindern.» Die Krankheit mache, was sie wolle. Umso wichtiger sind positive Erlebnisse: «Nur wenig Patienten schaffen es, in die Rehabilitation zu wechseln.» Jeder der das schaffe, stelle ein Highlight dar.Für den Nachholbedarf gut aufgestellt seinSeit dreissig Jahren ist Hannes Hagen aktiv in der Kultur. «Ich empfinde es nicht als eine Wahnsinnsstrafe, ein Jahr lang pausieren zu müssen», sagt er. Er verhehlt aber auch nicht, dass es manche Künstlerinnen und Künstler besonders hart getroffen hat. Vielen Menschen haben sich aber auch neue Möglichkeiten aufgetan.«Wir baden nicht in Milch», sagt der Inhaber des Kulturklubs Conrad Sohm. Frustriert sei er ganz und gar nicht. «Im Gegenteil. Uns geht es zwar nicht gut, wir sind aber motiviert für die Zeit danach.» Die Geduld seiner fünf Mitarbeiter – er musste niemanden entlassen – sei klein. Ihr Tatendrang aber umso grösser. Sie halten in Kurzarbeit die Stellung, betreuen Kunden und planen Veranstaltungen. Ab Juni sollen wieder Konzerte stattfinden. Fünfzig sind bereits im Ticketverkauf. Unter anderem steht das Programm für das nächste Szene-Openair. Hannes Hagen rechnet damit, dass die Menschen nach der überstandenen Pandemie mehr Kultur erleben wollen als zuvor. Damit es dem Nachholbedarf gerecht werden kann, möchte das Unternehmen gut aufgestellt sein.HinweisDas nächste Szene-Openair ist terminiert auf das Wochenende vom 29. bis 31. Juli 2021.www.szeneopenair.at

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