08.06.2020

Endlich Grün fürs Rotlicht

Nach drei Monaten Stillstand öffnete das Sexgewerbe am Wochenende. Für alle Beteiligten eine Erleichterung.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Obwohl es das älteste Gewerbe ist, war es lange weit unten auf der Liste der Lockerungsschritte. Vergangenen Samstag feierte das Erotikgewerbe Wiedereröffnung. Aber nicht alle Etablissements in der Region empfangen bereits wieder Gäste. Noch fehlen die Frauen aus Osteuropa und die Freier aus Österreich.Im Namen der Gesundheit: Sex nur mit SchutzAm 28. Mai gab der Bundesrat bekannt, dass erotische Dienstleistungen unter Einhaltung des Schutzkonzepts ab dem 6. Juni wieder erlaubt sind. Die Puffmutter Dolly von Dolly’s Salon in Rebstein ist bereit. «Ich freue mich extrem, wieder arbeiten und Kunden empfangen zu dürfen», sagt Dolly, «früher wäre aber deutlich besser gewesen.» Nicht nur das Händedesinfizieren gehört zum Programm, auch Maske und Handschuhe fehlen nicht.«Die meisten meiner Kunden sind Stammgäste», sagt die Puffmutter. Es seien vornehmlich Rentner über 60. Für die meisten ihrer Kunden waren die letzten Monate kaum auszuhalten. «Immer wieder riefen Männer bei mir an und fragten, wann sie wieder kommen dürften.» Da die Grenzen noch nicht vollständig geöffnet sind, kommen vorerst nur Schweizer Freier zu Besuch. Mit der Grenzöffnung in einer Woche erwartet Dolly einen noch grösseren Andrang und eine langsame Rückkehr zur Normalität. Am Wochenende erhält sie Verstärkung durch eine Kollegin aus Deutschland, und Ende Monat kommen weitere Frauen aus der Europäischen Union.«Am Samstagmorgen klingelte mein Telefon bereits um sieben Uhr», sagt die Rebsteinerin, «seither läutet es fast ununterbrochen.» Nebst der persönlichen Hygiene lege sie ihr Augenmerk auf die Einhaltung aller Gesundheitsbestimmungen. So werde nach jedem Kunden ordentlich gelüftet, die Handtücher und Textilien ausgetauscht und gewaschen sowie die Daten der Kunden aufgenommen und für zwei Wochen aufbewahrt. Sowohl auf Geschlechtsverkehr in gewissen Stellungen als auch Kuschelsex mit Schmusen verzichte sie vorerst vorsichtshalber. Es sei wichtig, dass die Gesichter immer möglichst weit weg voneinander seien. Sie rechne mit einer schnellen Normalisierung. «Ich hoffe, dass die Branche hygienischer und ordentlicher wird», sagt Dolly, «denn eine zweite Welle können wir nicht brauchen.»Auch ohne Hilfe über die Runden kommenGemäss Andreas Tomaschek, Inhaber des Palladium in Au, öffne er am 18. Juni die Türen für die Gäste. «Es gibt verschiedene Gründe, wieso ich später starte», sagt der Geschäftsführer. Einerseits müssen alle Angestellten unterrichtet und angeleitet werden, andererseits mache eine Öffnung nur Sinn, wenn die Grenzen auch offen sind. «Für die Wiederaufnahme des Betriebs bemühen wir uns, die Hygieneregeln und Schutzmassnahmen zu erfüllen», sagt Andreas Tomaschek. Aber es brauche auch die persönliche Bereitschaft der Gäste, schliesslich werde man den Schutz der Privatsphäre respektieren und in den Zimmern keine Kontrollen durchführen.Viele Kunden sehnen sich nach der Wiedereröffnung, nicht nur wegen des Sex, sondern auch um die Anwesenheit der Frauen zu geniessen. Viele Männer kämen, um die spezielle Atmosphäre zu geniessen, mit den Frauen zu sprechen und eine gute Zeit zu haben; das sei alles auch unter Einhaltung des Schutzkonzeptes möglich. Natürlich hoffe er auf eine schnel-le Normalisierung, schliesslich habe sein Geschäft während des Lockdown über 100000 Franken Verlust eingefahren. Ausserdem wünscht sich Andreas Tomaschek, dass in Zukunft wieder mehr auf Qualität statt auf Quantität geachtet werde.«Frauen wachsen einem ans Herz»Auch die Kontaktbar Sternen in Altstätten ist für ihre Gäste wieder geöffnet. Schon vor der Coronakrise gaben sich Freier und Bargäste die Türklinke in die Hand. Daran habe sich gemäss Inhaberin Conny nichts geändert. Stand sie vorher bereits für Wärme und Offenheit, so habe dies die Krise nur noch verstärkt. «Wir lebten für drei Monate alle unter einem Dach und lernten uns neu kennen», sagt Conny. Sie und ihr Mann wohnten mit fünf Frauen. Sie putzten und kochten gemeinsam, teilten dasselbe Schicksal.Sie haben viel mehr Zeit miteinander verbracht und sich auch privat kennengelernt. Sie seien füreinander dagewesen, tauschten sich aus und seien zusammengewachsen. «Wir verstehen uns nun besser und merkten, dass hinter den Schicksalen Menschen stecken, wie du und ich», sagt Conny. Alle sind ob der Wiedereröffnung aus dem Häuschen. «Wir sind gut gestartet und freuen uns, wieder arbeiten zu können», sagt die Geschäftsführerin.Kasten:Gleiche Bedingungen wie alle anderen DienstleisterAnfang April hat Prokore (nationaler Zusammenschluss der Beratungsstellen für Sexarbeitende) mit Unterstützung des BAG eine nationale Koordinationsstelle zur kurz- und langfristi-gen Bekämpfung von negativen Auswirkungen der Coronapandemie auf Sexarbeitende in der Schweiz geschaffen. «Aus einer Gesundheitsperspektive ist es viel gefährlicher, Sexarbeit zu verbieten statt sie zu regulieren und Schutzkonzepte umzusetzen», sagt Susanne Gresser, ehemalige Teamleiterin bei «MariaMagdalena». «Die Öffnung ist wichtig für die Betreiber, die Angestellten und die Kunden.» Unter Einhaltung der Schutzmassnahmen herrschen die gleichen Bedingungen wie in allen anderen Dienstleistungsbereichen.Viele Frauen mussten während des Lockdown in der Schweiz bleiben und brauchten nebst finanzieller Unterstützung auch Rat zur Dauer der Aufenthaltsbewilligung. Standen vor der Coronakrise Information und Beratung zu Prävention, zu Gesundheit allgemein, zu rechtlichen Fragen und zu Fragen in schwierigen Lebenssituationen im Mittelpunkt, kreisten die Fragen seither um Heimkehrmöglichkeiten, finanzielle Unterstützung und die Wiedereröffnung.Das Angebot von «MariaMagdalena» ist ein Projekt des Gesundheitsdepartementes des Kantons St. Gallen und richtet sich an alle Personen im ganzen Kanton, die im Sexgewerbe tätig sind. Ziel ist, die Lebensqualität der Personen im Sexgewerbe zu optimieren, ihre Sozialkompetenz zu fördern und den Zugang zu den Angeboten im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie im Rechtssystem zu ermöglichen. Das Angebot ist professionell, anonym und kostenlos.

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