16.12.2019

«Ena ischt ennig nochigeent»

Der Sprachwandel zeigt sich auch daran, dass das Fremde Einzug hält. Hier aufgezeigt an der Oberrieter Mundart.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleIn meinen Beiträgen beschreibe ich die aktuellen Veränderungen unserer Mundart, namentlich derjenigen vom Oberied, wie man Oberriet mundartlich nennt. Viele Wörter und Redewendungen sind ausgestorben, neue erscheinen.Obwohl die Mundart in der Schweiz zurzeit ein Hoch erlebt, ist dennoch festzustellen, dass die typische Rheintaler Mundart, gemäss der man oas und zwoa sagt, stark zurückgedrängt wird. Das Fremde hält Einzug. Ich bedaure das nicht, denn der Sprachwandel findet statt, ob wir ihn wollen oder nicht.Kürbissuppe und ko KörpsasuppaWer im Herbst ein Restaurant besucht, kommt heutzutage nicht mehr um die Kürbissuppe herum. Sie ist allgegenwärtig. Früher gab man die Körpsa den Tieren zu fressen. Heute soll diese Suppe eine Delikatesse sein. Die neuartige Suppe wurde nicht im Rheintal erfunden, sondern kam von aussen in unser Tal. Mit der Suppe kam auch die nicht-rheintalische Aussprache des Wortes Kürbis zu uns. Viele Rheintaler haben das alte Wort Körps durch das neue Kürbis ersetzt oder sind daran, es zu ersetzen. So bringen neue Gepflogenheiten auch neue oder veränderte Wörter.Gerade bei den Lebensmitteln erfahren wir im Moment eine Invasion fremder Wörter. Oft sind die aus Deutschland operierenden Läden wie Aldi und Lidl dafür verantwortlich. Sie verkaufen ihre Produkte unter den Namen, die in Deutschland gebräuchlich sind. So ist die Rede von Pralinen statt von Pralinées, von Rinderlende statt von Rindsfilet oder beispielsweise von Hühneroberschenkel. Im Oberied hiesse oder heisst dieses feine Stück lokaldialektalisch Pouletbööali.Wenn ich Menschen reden höre, versuche ich herauszuhören, woher sie ihrer Mundart nach stammen. Reden sie Rüthnarisch, Oberiednarisch oder Bäaneggarisch? Es gibt ja ungezählte Ausdrücke, die für ein bestimmtes Dorf typisch sind. Oft frage ich mich, ob es Wörter gibt, die man ausschliesslich in einem bestimmten Rheintaler Dorf benützt. Ist das Wort loaba oder a Loabata ein Wort, das man als typisch Oberiednerisch bezeichnen könnte? Gnoat für oft? S Nottwäadar für Entweder-Oder? Nochigeent oder nojigeent für einen Mann, der gern Frauen nochi good (und vice versa für Frauen)? Ich suche das exklusive Oberiednar Wort; das Wort, das heute noch in Gebrauch ist und das man ausschliesslich im Oberied benützt. Dasselbe gilt für andere Rheintaler Dörfer. Hinweise, die zum Auffinden solcher dörflicher Losungs- oder Codewörter führen, nehme ich gern entgegen.Als typisch für die Rheintaler Mundart würde ich das Wort ennig auswählen. Man sagt beispielsweise, das Essen sei ennig guat gsii oder ennagi Lüt magi nüd. Zu übersetzen ist das Wort am besten mit derart: Das Essen war derart gut oder derartige Leute mag ich nicht. Ob ennig etwas mit innig zu tun hat, wäre noch zu klären.Immer häufiger: «s Äassa ischt lecker gsii»Wenn wir beim guten Essen verweilen, was mir immer gefällt, so muss ich auf das heute Urständ feiernde importierte Wort rund ums Essen hinweisen: Lecker. Immer öfter – horribile dictu – reden auch Rheintaler so und sagen s Äassa ischt lecker gsii. Hier mache ich einen Aufruf: Bitte sagen Sie doch beim nächsten Mal einfach: s Äassa ischt ennig guat gsii. Immer häufiger sagen Rheintaler, s Äassa heijana gmundet oder s Äassa heijana gschmeckt. Für mich gilt immer noch: Wenn s Ässa schmeckt, denn räächalats und ma moasas loaba. In der Regel ärgere ich mich nicht über den Sprachwandel. Wenn mich allerdings jemand während des Essens fragt, ob mir das Essen munde oder ob es mir schmecke … ja, dann bleibt mir vor lauter Ärger die Rinderlende im Hals stecken. Ebenso ärgere ich mich, wenn ich Aldis und Lidls Preise anschaue. Die meisten Preise lauten auf Franken und 99 Rappen. Eine Flasche Wein kostet 3.99, ein Brot 2.99. In der Schweiz haben wir da Oräpplar und da Zworäpp-lar abgeschafft und wollten gar da Füüfräpplar abschaffen. Nun kommen die deutschen Billigversorger und überschwemmen unser Land mit deutschen Wörtern, die wir nicht haben wollen, mit kleinlich-deutschen 99er-Preisen, die wir nicht haben wollen. In einem Laden fragte die Verkäuferin einen Kunden: «Händsi no a Füüffrankestuck?» Häadmi gad gschudarat! Zum Glück reden die meisten Schweizerinnen und Schweizer immer noch vom Füüfliiber.Mädchen und junge Frauen benützen neuerdings das Wort süess. Sie sagen, das Kindli sei süess, das Kleidli sei süess, das Handtäschli sei süess. Beinahe selbstverständlich setzen die Girls dem süssen Adjektiv noch ein «o my God» voraus. Wenn sie WhatsAppen, schreiben die Girls dafür OMG.Hat da jemand das oben verwendete Wort loaba oder Loabata nicht verstanden? Wer loabat, lässt beim Essen etwas stehen. Neu würde man wohl von Foodwaste reden. Das Stehengebliebene ist die Loabata. Es gibt ein schönes Sprichwort, in dem die Loabata nicht auf das Essen, sondern auf stehen gebliebene Personen angewendet wird. Wenn eine stehen- oder ledig gebliebene Person eine andere ennagi ehelicht, sagt man: Zwo Loabata geand ono a Hoazig.

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