17.02.2020

En Fröndsproochenufenthalt

Der Sprachwandel zeigt sich auch daran, wie man versucht, die Mundart zu bewahren – am Beispiel Oberriet.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleSeit einigen Jahren darf in den Schulen nur noch die sogenannte Hochsprache oder das Schriftdeutsch verwendet werden. Das führte zu politischen Widerständen.In einigen Kantonen kam es zu Initiativen und zu Vorstössen in Parlamenten. Es wurde verlangt, dass die Kinder wenigstens im Kindergarten noch Mundart reden dürfen, was denn in unserem Kanton auch so gilt. Aber welche Mundart sollen die Kinder im Kindi reden? Was tun, wenn die Oberiedner Kindergärtnerin Bernerin oder Baslerin ist und die Kinder sprachlich korrigieren soll? (Entschuldigung: ich benütze hier die weibliche Form, weil es ja kaum Kindergärtner gibt.)Als Abschluss meiner Mundart-Serie in dieser Zeitung mache ich deshalb einen Vorschlag. Kindergärtnerinnen, die von ausserhalb stammen und im Oberied eine Stelle antreten möchten, haben zwei Bedingungen zu erfüllen. Sie müssen zuerst einen Fremdsprachenaufenthalt im Oberied absolvieren und anschliessend einen Mundarttest auf Oberiednerisch bestehen und damit beweisen, dass sie reden können, wie man do hussa redt. Dieser Test heisst abgekürzt SVP, die Sprachverträglichkeitsprüfung.A koga Sach mit deam hoa goaDer Fremdsprachenaufenthalt im Oberied dauert fünf Tage. Am ersten Tag ist die korrekte Aussprache vom oa zu üben, sodass das Beispiel «Aloa hoa goa» korrekt nasal artikuliert werden kann. Wichtig ist es zudem, dass Kindergärtnerinnen die Oberiedner Geschlechtsnamen ortsüblich aussprechen können. Wenn ein Bub Stefan Hutter heisst, muss er korrekt mit Schtäaffaan Huattr angesprochen werden können. Lo-her heisst im Oberied Loochr, Bont heisst Poant, Benz heisst Beeanz, Rohner heisst Rohanar. Holenstein heisst Holastoa.Am zweiten Kurstag steht das fehlende R auf dem Sprachausbildungsprogramm. Es braucht für die aus anderen Sprachregionen Kommenden viel Übung, damit sie nicht mehr Garte sagen, sondern Gaata, nicht mehr warte, sondern waata, nicht mehr Chindergarte, sondern Keandargaata, nicht mehr Härz oder Schmärze, sondern Häatz oder Schmäatza. Nicht nur das R lässt man auf Oberiednerisch weg, sondern auch Endsilben. Es heisst nicht a Pille, sondern a Pill, nicht a Zange, sondern a Zang, nicht Bahn, sondern Bah und Bahof, nicht an Oransche, sondern an Oransch, nicht a Gülle, sondern a Güll.Der folgende Kurstag ist hoch anspruchsvoll, weil es um die zwei Aussprachevarianten des lokal-dialektalen Buchstabens L geht. Bei den Wörtern Waald oder Ball ist die Zunge bei der Artikulation des L nach oben zu rollen. Beim Wort Willi oder Velo stösst die Zunge gerade an die vorderen Zähne. So ergeben sich die zwei typisch Oberiednerischen L. Weitere Beispiele für die erste und die zweite Aussprachevariante: häall – hääl, Gäald – Kella; Ball – viel; Mialch – Bild. Die Probandinnen müssen das korrekte L bei Rhii-Wäalla im Unterschied zu Rivella fehlerfrei artikulieren können. Käme eine Kursteilnehmerin beispielsweise aus Zürich, würde sie sagen: «Mir gönd morn noch Eichberg und noch Rüthi.» Die Oberiedner Goofa würden entweder nichts verstehen oder die Fremde auslachen. Denn korrekt heisst es: in Opärg (Eichberg) usi, gi Rüthi ufi, gi Altschtetten ini, gi Moanaga (Meiningen) dori, gi Kriassaran abi, in Heanderfoascht heandari. Wichtig ist auch die korrekte Verwendung bei Ortsangaben. Man sagt nicht: In Davos hät’s gschneit, sondern zDavos. Nicht in Züri, sondern zsZöri, zsZermatt, zSanngalla, zMarpa. Aber nicht zOberriet, sondern im Oberied, im Kobilwaald, im Oachiweas, im Östriich.Sollte der Fritzli im Kindi der Ruth den Kuli weggenommen haben, darf die Kindergärtnerin nicht fragen: «Häsch du de Ruth ihren Kuli gnoh?» Der Oberiedner Fritzli würde das nicht verstehen. Denn richtig heisst die Frage: «Häascht du da Ruth eara sina Kuli gnoa?» Die Kinder würden die Kindergärtnerin analog fragen: «Ischt daa eana sis Velo?» Oder: «Wia ischt da Namma vo eana sim Vattar?» Am letzten Kurstag werden die Fettnäpfchen besprochen, die es im Oberied zu vermeiden gilt. Als Beispiel diene das Ei. An Ei gibt es in der Oberiedner Mundart nicht. Es heisst korrekt an Eier. Zusätzlich können fortgeschrittene Teilnehmerinnen der Oberiedner Konjunktiv üben. Wenn heute viele Leute sagen «Ich wüar da nüd macha», so hiesse das mundartlich korrekt «I mijech da nüd» oder «i muach da nüd». Als weitere Beispiele: I gsäächt da (ich würde das so sehen). I fruass da (ich würde das fressen). I neem da (ich nähme es). Är zahltis (er würde es zahlen).SVP – die schwierige Prüfung Als Abschluss des Fremdsprachenaufenthalts müssen die Anwärterinnen die Sprachverträglichkeitsprüfung (SVP) bestehen. Die Prüfungsaufgabe besteht darin, den folgenden Satz fehler- und akzentfrei aufzusagen: «Wennt monscht, welischt uf dan oagna Böanar in Oachiweasar Schwamm ufi goa, denn kascht itz alls googa loa; hous hoa, goog no a Wiili und väaschpari no eppis, assd widar maggscht. Denn hous woadli übar da Freijabaach und da Stoa in Käabig ufi. Ir Pensioa omm kascht no an Soarpf nea. A soa maggs voroaga, assd am oas oder am zwoa am Bisnacht seacher uni Weadargeenta im Oachiweasar omm beascht.»

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