Hildegard BickelNach dem nasskalten Wetter draussen empfängt die Besucher eine wohlige Wärme am Empfang. Durch das Drehkreuz geht es die Treppe hoch zum Saunabereich. Die Temperatur steigt, die Schritte werden durch die Hitze träge. Angenehm unaufdringliche Duftnoten von Kräutern und Blüten hängen in der Luft. Saunameister Marcel Widler heisst in seiner üblichen Arbeitskleidung willkommen. Kurze Hose, T-Shirt, Badelatschen. Wenn es aber Zeit für einen Aufguss wird, wechselt er die Garderobe. Aus dem 57-Jährigen wird Aladin mit der Wunderlampe. Und für die Besucher wird aus dem stillen Schwitzen ein Sauna-Erlebnis mit einer ausgeklügelten Regie.Gäste überraschen und unterhaltenDie Beduinen-Gewürzreise gestaltet Marcel Widler am liebsten. Für die Saunabesucher bereitet er Aufgüsse zu mit Duftnoten von Koriander, Muskatnuss, Kardamom, schwarzem Pfeffer sowie Sternanis. Die eigentliche Überraschung gelingt ihm jedoch mit seiner Erscheinung. Dabei setzt er sich einen Turban auf den Kopf, wickelt ein Tuch um die Hüfte und trägt eine Wunderlampe in der Hand. Um die Szenerie noch besser wirken zu lassen, untermalt passende Musik die orientalische Atmosphäre.Solch eine dargestellte Geschichte machte Marcel Widler im Teamwettbewerb mit seinem Mitarbeiter Erik Jordan zum Vizemeister der Schweizer Aufguss-Meisterschaft 2018.«Man darf diese Show nicht als Zirkus verstehen», sagt er. «Oder denken, wir würden mit einem Tuch wedeln wie ein Pizzaiolo einen Teig in der Luft dreht.» Dank der Wedeltechnik lässt der Saunameister frische Luft mit Sauerstoff in die Kabine strömen und verteilt den Duft des ätherischen Öls. Beim Wettbewerb präsentieren die Teilnehmenden ihr hohes Level, wollen sich messen und bewerten lassen, um die Qualität zu steigern. Mit dem Resultat, dass Marcel Widler und Erik Jordan an der Weltmeisterschaft in Berlin teilnehmen durften.Gewonnen haben dieses Jahr zwar andere. Doch im Team des Mineralheilbads ist die Weltmeisterin 2016 tätig, Izabela Zoladz, die zudem mehrfache Landesmeisterin von Polen ist. Auch der amtierende Einzel-Schweizermeister soll nächstes Jahr zum Team stossen.Der Job fordert KonditionDass Marcel Widler mit seinen 57 Jahren immer noch Gas gibt, sei verrückt, sagt Robert Heinevetter. Der stellvertretende Geschäftsführer findet nur lobende Wort für seinen Mitarbeiter und bezeichnet es als Hochleistungssport, was dieser als Saunameister leistet. Bei einem Show-Aufguss jage es den Puls schnell mal auf 160 Schläge hoch, dazu müsse man konditionell fit sein. Der in Berneck wohnhafte Widler gibt sich bescheiden. Er übe seine Arbeit mit Herzblut aus. Früher war er während der Sommermonate Bademeister in Amriswil. Auf der Suche nach einer Beschäftigung im Winter fand er in der Tamina-Therme in Bad Ragaz eine neue Aufgabe. Marcel Widler nutzte die Gelegenheit, sich zum Saunameister weiterzubilden.Beginnend mit Wärme- und Kältereizen lernte er die gesamte Palette gesundheitlicher Aspekte rund um das Saunieren kennen. Mit seiner feinen Nase, psychologischem Gespür für Menschen und einem lockeren Spruch auf den Lippen trägt er wesentlich zu einer entspannenden und wohltuenden Atmosphäre in der Sauna bei. Wobei er betonen möchte, dass der sich auch bewusst zurückzieht, wenn Besucher ohne Saunameister in die Kabine möchten.Das flüssige Gold der SaunameisterNebst den zelebrierten Aufgüssen gibt es auch die klassischen, jede Stunde mit wechselnden, harmonierenden Düften. Das Team hat den online abrufbaren Plan detailliert aufgelistet.Der letzte Aufguss am Abend gestaltet sich ruhig, mit Duftnoten, die auf die Jahreszeit abgestimmt sind. Grossen Wert legt Robert Heinevetter auf natürliche Öle und frische Kräuter, die im Mineralheilbad angewendet werden. «In den meisten Wellnessanlagen in Deutschland wird auf synthetische Düfte zurückgegriffen. In der Schweiz ist der Trend angekommen, auf reine Öle umzustellen.» Er mag am liebsten den Duft Weisstanne. Ein Liter reines ätherisches Öl kostet 1500 Euro. Gekauft werden allerdings nur kleine Dosen à 100 ml, das Öl ist ergiebig.Auch wenn die Saunameister beruflich oft aufgeheizt sind, privat saunieren sie ebenfalls. So könne man sich mit Kollegen über neue Techniken oder Aromen austauschen. Angetan sind sie derzeit von der russischen Saunatradition.Unter dem Stichwort «Banja» kann man sich mit Birkenästen bearbeiten lassen. Im Aussenbereich legt man sich auf eine Liege und lässt sich vom Saunameister mit den eingeweichten Ruten «abschlagen». Oder massieren, wie es Robert Heinevetter fachlich etwas milder erklärt. «Wenn die Leute Striemen am Rücken haben, waren sie nicht bei uns.»Die desinfizierende und belebende Wirkung jedenfalls muss sich herumgesprochen haben, denn die Anwendung, die erst seit wenigen Wochen auf dem Programm steht, ist beliebt.