19.01.2021

Einloggen statt einrücken

Die Rekrutenschule beginnt für Joel Germann nicht auf dem Waffenplatz in Thun, sondern im Elternhaus in Kriessern. Das Homeoffice hat allerdings seine Tücken.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Wegen der Pandemie haben diesen Winter vier von zehn Rekruten die RS in der warmen Stube angetreten. Joel Germann aus Kriessern ist einer von den insgesamt 5000 jungen Männern und Frauen. Bewaffnet sind sie nicht mit dem Sturmgewehr, sondern mit dem Laptop und einem Login zum E-Learning-Tool der Schweizer Armee. Drei Wochen lang muss sich der Automatiker dort sechs Stunden täglich durch Reglemente lesen und Übungen abschliessen, bis er schliesslich einrücken und seine militärische Ausbildung zum Gerätemechaniker vor Ort beginnen darf.Herr Germann, wann ist im RS-Homeoffice «Tagwach»?Joel Germann: Bisher bin ich um 7.30 Uhr aufgestanden und habe kurz darauf meinen Laptop aufgeklappt.Also nicht ganz so früh wie für die 7000 Rekruten, die ihren Dienst am Montag bereits in den Kasernen des Landes antreten durften. Nein, das nicht. Wir Homeoffice-Rekruten dürfen unseren Tag einteilen, wie wir wollen. Sechs Stunden täglich müssen wir aber Militär-Theorie büffeln. Gerade eben habe ich mich durch ein 110 Seiten langes PDF über das Sturmgewehr 90 gelesen und anschliessend theoretische Übungen zum sicheren Umgang mit der Waffe gelöst. Übrigens gehört auch Sport in diesen drei Wochen dazu.Dann trifft man Sie in Kriessern vielleicht beim Joggen im Kampfanzug? Beim Joggen schon, aber nicht in der Uniform, die bekommen wir erst in drei Wochen in der Kaserne. Aber ja, vier Stunden Sport pro Woche sind Pflicht. Ob man nun Kraftübungen mit Hilfe der App des Militärs macht oder wie ich meistens auf dem Hometrainer sitzt, ist jedem selbst überlassen.Das braucht vermutlich eine ordentliche Portion Selbstdisziplin, zumal wohl kaum 5000 in der Schweiz verteilte Homeoffice-Rekruten kontrolliert werden können.  Das stimmt, es wird nicht geprüft, ob wir lernen oder Sport treiben. Aber einerseits versuche ich, schon am Morgen an den Computer zu sitzen und nicht erst am Mittag, um wenigstens einigermassen den Rhythmus aufrechtzuerhalten, der mich in drei Wochen in Thun erwartet. Andererseits treibt einen natürlich der Test an, der beim Einrücken ansteht. Sowohl unser Militärwissen als auch die Fitness werden geprüft.Wer nicht besteht, muss mit einer Strafe rechnen? Ja, wer durch die Prüfung rasselt, verbringt das erste Wochenende mit Lernen. Wegen Corona darf an den Wochenenden derzeit zwar ohnehin niemand nach Hause, aber noch einmal etliche Dateien lesen will vermutlich trotzdem niemand.Trotz Learning Management System der Schweizer Armee funktioniert die Homeoffice-RS nicht reibungslos. Die Medien berichten von einem überlasteten System, dass es vielen Rekruten verwehrt hat, sich einzuloggen. Hatten Sie am Montag auch damit zu kämpfen? Ich konnte mich zwar anmelden, doch es hat eine Ewigkeit gedauert, bis die Seiten geladen wurden. Am Dienstag funktionierte die Plattform aber schon deutlich besser. Mir wäre allerdings ohnehin lieber, ich hätte vor Ort in der Kaserne in die RS einsteigen können.Ist es denn nicht bequemer zu Hause, gerade jetzt im Winter mit tiefen Temperaturen und aktuell viel Schnee? Das schon. Ich habe mich natürlich auch darüber gefreut, drei Wochen daheim bleiben zu dürfen. Es ist bequem, wenn die Mutter kocht und man im eigenen Bett schlafen kann. Aber vermutlich haben all die Rekruten, die bereits in den Kasernen sind, einen einfacheren Einstieg. Auch, weil die meisten direkt vom Arbeits- in den strengen Militäralltag wechseln konnten und dazwischen nicht drei Wochen mit vielen Freiheiten zu Hause verbracht haben. Auf was freuen Sie sich denn am meisten in den verbleibenden 15 Wochen Rekrutenschule in Thun? Vor allem darauf, neue Leute kennen zu lernen und Freundschaften zu schliessen. Jetzt sehe ich niemanden, abgesehen von meiner Familie. Auch mein Privatauto darf ich während der RS im Homeoffice nicht  fahren. Sofern also der Coronatest in drei Wochen negativ ist und mir die Quarantäne in der Kaserne erspart bleibt, kann es von mir aus losgehen. 

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.