13.03.2021

Einen wie König Edgar gibt’s nur einmal

Bodenständig und konservativ, aber auch ehrgeizig, weltoffen, streitbar: Edgar Oehler hat eine Biografie in Buchform erhalten.

Von Marcel Elsener
aktualisiert am 03.11.2022
Direkt, unverkrampft, schlagfertig. Typisch Rheintaler, sagt man. Und typisch Edgar Oehler. Im Herbst 1990, die filmreife Geschichte hat sich erst zum 30. Mal gejährt, kommen dem «König des Rheintals» diese Eigenschaften auf einem Kampfplatz der Weltbühne zugute. Oehler führt die Schweizer Parlamentariergruppe an, die in privater Mission beim irakischen Diktator Saddam Hussein die Befreiung von Schweizer Geiseln erreichen will.[caption_left: Oehler (ganz links) mit Jean Ziegler 1990 bei Saddam Hussein in Bagdad.]Am 19. November kann die Delegation in einem von Geheimdienstlern und Soldaten abgeschotteten Raum zwei Stunden mit dem Tyrannen reden. Vom geheimen Gespräch ist nach dem Tod Saddams vieles bekannt geworden: Ob es die Schweizer gerecht fänden, dass der Emir von Kuwait 60 Milliarden Dollar besitze, wollte der Diktator wissen. «Rich man!», sagte Oehler. Und wie die Schweizer dazu stünden, dass der Emir über 50 Frauen besitze? «Poor man!», meinte Oehler. Den Spruch habe Saddam nicht lustig gefunden, erzählte Oehler später.Die Frau einer Geisel aus Thal hatte bei Oehler angeklopftTrotz aller Widerwärtigkeiten und der fehlenden Rückendeckung der Schweizer Regierung und ihrer Botschaft ist das Vorhaben erfolgreich: Oehlers Delegation kehrt mit 16 der 24 Schweizer und 20 weiteren Geiseln heim. Das abenteuerliche Unterfangen, das als «Operation Kalif» in die Geschichte einging, ist ein längeres Kapitel in der ersten Buchbiografie über Edgar Oehler, die der Publizist René Lüchinger geschrieben hat.Oehlers Privatdomizil Grünenstein in Balgach war der Kommandoraum, das Engagement entsprach auch einer persönlichen Betroffenheit: Eine verzweifelte Mutter mit drei Kleinkindern aus Thal hatte bei ihm angeklopft, weil ihr Mann als Geisel im Irak festgesetzt war. Das spätere Gerücht, wonach es Oehler beim Trip an den Tigris auch um Geschäfte für die serbelnden Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA) ging, für die er damals im Auftrag von Justus Dornier einen neuen Besitzer suchte, hielt sich lange. Doch sogar Jean Ziegler, geschätzter, obwohl politisch oft bekämpfter «Sozi»-Reisegefährte, dementierte: So wie mit ihm über die Universität habe der Irak-Herrscher mit Oehler, der zuvor mehrfach in Bagdad gewesen war, auch über das FFA-Flugzeug Bravo geplaudert. «Zu behaupten, Oehler habe die Operation Kalif für irgendwelche dubiosen Geschäfte missbraucht, ist völlig absurd.»Der wichtigste FCSG-Geldgeber verhöhnt die KlubleitungDer böse Verdacht lässt sich mit zwei Antriebsfedern des Protagonisten begründen: Heimatverbundenheit und Geschäftssinn. Wer als Bub die Eier der Hühner der Familie verkaufte, als HSG-Student eine Gipserfirma gründete und nach der steilen Journalisten- und Politkarriere als spät berufener Unternehmer mit Hartchrom, Arbonia-Forster und STI (letztere führt er bis heute) international erfolgreich geschäftete, hat einen untrüglichen Riecher fürs Business. Exemplarisch dafür Oehlers Finanzspritzen für den FC St. Gallen: Als er 2003 als erster Unternehmer ein grosses Aktienpaket kauft, will er damit «Farbe bekennen zu seiner Heimatregion», so wie früher schon, als er im Rheintal die erste Tennishalle und die erste Kunsteisbahn gebaut habe. 2006 dann der Coup: Oehler schnappt sich für über zehn Millionen Franken die Namensrechte des neuen Stadions, die Firmen seiner AFG-Gruppe bauen kräftig mit und prangen dann an Tribünen – ein Marketing-Coup, der in der Schweiz seinesgleichen sucht. Von Fussball versteht Oehler, der als Bub nur heimlich tschutten durfte, nicht viel. Doch als Hauptgeldgeber nimmt er in der Finanz- und Abstiegskrise kein Blatt vor den Mund: Legendär seine Beschimpfungen der Klubleitung als «Trachtengruppe», die «Management by Moses» pflege: «Sie schicken Leute in die Wüste und hoffen auf Wunder!»[caption_left: Der CVP-Nationalrat und Chefredaktor mit seiner Tageszeitung.]Für solche Sprüche ist Oehler berüchtigt, mit seiner Angriffslust und ungeschminkten Kommentaren sorgte er bereits als junger CVP-Nationalrat und Chefredaktor der CVP-Tageszeitung «Die Ostschweiz» für rote Köpfe. So wie er später den Handschlag mit dem «gefährlichsten Mann der Welt» nicht scheut und sich als Unternehmer gegen Grossbanken und Spekulanten wehrt, so geht er mit Bundesräten oder Parlamentariern in den Infight. 1985 brockt ihm das eine Ehrverletzungsklage ein, als er Nationalrat Markus Ruf von der Nationalen Aktion als «Schande für unser Parlament» und «siebzig Kilo Dummheit» bezeichnet. Ruf wollte mit einer Waffe und Handschellen Asylbewerber eigenhändig aus dem Land spedieren, Oehler platzte der Kragen, weil er auch an seine vier aus Sri Lanka adoptierten Mädchen dachte. Freilich finden sich die meisten Gegenspieler auf der linken Seite, bald ist Oberst Oehler dort als «Kommunistenfresser» und «Militärkopf» verschrien, seit seiner Reise 1974 in Pinochets Chile gilt er als Feindbild: «Ohne Oehler ist’s uns wöhler.» Dass die CVP-Saftwurzel jedoch ein komplexeres Weltbild hat als eins zwischen «Panzer und Papst», gehört zu den Erkenntnissen dieser Lektüre. Die Widersprüche werden vor dem zeitgeschichtlichen Horizont einleuchtend erklärt: Als Chefredaktor schreibt er 1973 eine anklagende Reportage aus dem kriegsversehrten Vietnam, präsidiert aber später das St. Galler Komitee gegen den UNO-Beitritt der Schweiz. Oder er ist 1971 federführend für die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts, hilft aber dann, die Wahl der ersten Bundesrätin zu verhindern (Lilian Uchtenhagen). Nichts zuschulden kommen lässt er sich im Einsatz für die Region: Oft genug kämpft er wortgewaltig für den Beweis, dass «wir in der Ostschweiz auch jemand sind».HSG-Student mit Gipsergeschäft und SportautoRené Lüchinger hat bereits mehrere Biografien von Schweizer Persönlichkeiten verfasst. Über das «Unikum» Oehler wollte er schon vor zehn Jahren schreiben, nun war der heute 79-jährige Oehler bereit und finanzierte auch die Biografie. Oehler hat als früherer Journalist und effektbewusster Politiker stets ein lockeres Verhältnis zu den Medien gepflegt, von kaum einem Ostschweizer finden sich so viele längere Interviews, siehe allein das Dutzend auf Oehlers eigener Website.Sein Leben ein offenes Buch, aber trotzdem lohnt sich die Lektüre der Biografie. Wie er als einziger Sohn einer Bäcker- und Malerfamilie mit sechs Schwestern aufwächst, «harte Arbeit, karger Lohn», als Kleinkind muss er Mädchenkleider nachtragen, weil das Geld so knapp ist. Wie er auf der Rosenberg-Uni mit dreckigen Schuhen erscheint, weil er vor den Vorlesungen Baustellen im Rheintal abklapperte; wie er später als Assistent seinen blutorangen Porsche auf den Rektoratsplätzen abstellt. Wie er 1971 die Wahl in den Nationalrat schafft, auch dank eines amerikanischen Wahlkampfes mit Werbewagen – 1961 hat er als Austauschschülerjahr in den USA verbracht.Und natürlich staunt man über die heute unvorstellbare Art, wie Oehler zweimal ohne Erfahrung als Journalist respektive Unternehmer in den beruflichen Chefsessel gehievt wird: dank seiner Ziehväter Kurt Furgler, CVP-Nationalrat und später Bundesrat, für den er schon als Bub sein Schlafgemach geräumt hatte, und Arbonia-Patron Jakob Züllig. Ein pralles Leben auf 360 Seiten, bis hin zu Tiefstpunkten wie dem Horrorjahr 2009, in dem er die Finanzkrise, eine fast tödliche Blutvergiftung und den schweren Autounfall seiner Frau und Tochter in Spanien überstehen muss. Und doch hat die Erzählung gewisse Lücken. Beispielsweise wird Oehlers umstrittenes Wirken als Tabaklobbyist nur gestreift. Und gern würde man erfahren, wie er etwa die UNO, die Rüstungspolitik oder auch die Amtszeitbeschränkung («Lex Oehler») aus heutiger Sicht sieht, und wie es der Katholik mit dem Glauben hält. Man erinnert sich da an einen Satz der ersten «Ostschweiz»-Redaktorin und späteren Bistumssprecherin Rosmarie Früh: «Edgar Oehler fragte öfter, ob ich sonntags in der Kirche gewesen sei. Der Bischof nie.» Dass Freizeitbeschäftigungen nicht vorkommen, erstaunt allerdings nicht: Einer, der täglich von 6 bis 23 Uhr arbeitet, braucht keine Hobbys.Das Buch schliesst mit der Szene, als Oehler 2020 vor seiner Hartchrom-Fabrik in Steinach den Verlad der grössten verchromten Stahlwalze der Welt bewundert. Das «Made in Switzerland» und damit der Erhalt von Hunderten Arbeitsplätzen macht ihn stolz. Mit Oehler ist es vielen Leuten eben doch wöhler, jedenfalls rund um seine Wirkungsstätten in der Ostschweiz.HinweisRené Lüchinger: Edgar Oehler. Ostschweizer Unternehmer. Politiker. Journalist. Appenzeller Verlag 2021, 364 Seiten, 38 Franken. 

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