29.08.2022

«Eine Vielfalt ist möglich»

Viele Menschen überraschte die Kündigung von Pfarrerin Manuela Schäfer. Zum Abschied zieht sie Bilanz.

Von Interview: Monika von der Linden
aktualisiert am 02.11.2022
Fast auf den Tag genau sind zwölf Jahre vergangen, wenn sich Manuela Schäfer am Bettag als Pfarrerin von Berneck verabschiedet. Per 1. Oktober 2010 war sie aus dem deutschen Hessen ins Rheintal gekommen. Im Mai 2013 ordinierte die Kantonalkirche St. Gallen Manuela Schäfer und sie wurde als Pfarrerin von Berneck installiert. Nun zieht die eingebürgerte Schweizerin weiter, sie verlässt die reformierte Kirchgemein-de Berneck-Au-Heerbrugg, den Kirchenkreis Rheintal und die Kantonalkirche. Im Oktober wechselt Manuela Schäfer ins Pfarrteam der reformierten Kirchgemeinde Uster.Manuela Schäfer, Berneck war das erste Pfarramt, für das Sie als junge Pfarrerin die Verantwortung übernahmen. Wie sehr hat Sie Ihre Aufgabe hier geprägt?Manuela Schäfer: Ich bin stolz darauf, hier ordiniert worden zu sein. Obwohl ich in Deutschland studiert habe, bin ich eine Schweizer Theologin. Im Studium habe ich zwar die Theorie gelernt. Hier aber hat die Kantonalkirche erklärt, dass sie mich in ihre Dienstgemeinschaft aufnehmen will. Pfarrerin bin ich nicht nur in der Kirchgemeinde, sondern in der ganzen Gesellschaft.Was meinen Sie damit?Ich sehe meine Aufgabe nicht allein darin, besinnliche Feiern zu gestalten. Zum Beispiel habe ich an der Bundesfeier am 1. August einen fetzigen Preacher Slam vorgetragen. Den Menschen hat diese theologische Wortakrobatik gefallen. Sie haben es geschätzt, mich in einer unerwarteten Form zu hören.Sie fühlen sich wohl und werden geschätzt. Warum verlassen Sie das Rheintal trotzdem?Ich bin Anfang 40 und will beruflich etwas Neues wagen. Berneck war meine erste Stelle und ich habe mich verändert, ebenso hat sich die Gemeinde entwickelt. Obwohl ich für Kontinuität stehe, ist es Zeit geworden, zu wechseln. Ich habe meine Botschaft rübergebracht. Es tut der Gemeinde gut, wenn sie demnächst jemand anderem zuhören kann. Kontinuität darf nicht in Stillstand münden. Davon nehme ich mich nicht aus.Wie nahm die Kirchgemeinde Ihre Kündigung auf?Im ersten Gottesdienst, nachdem meine Kündigung bekannt geworden war, blickte ich nur in betroffene Gesichter. Die Stimmung war ähnlich wie an einer Abdankung. Im Laufe der Zeit wurde es besser. Das hat mich sehr berührt.Inwiefern hat sich die Gemeinde in den letzten zwölf Jahren verändert?Ich traf eine gut funktionierende Gemeinde an. So ist sie geblieben. Sie ist eine Gemeinschaft, in der die Menschen unterschiedlich sind und sich doch respektieren. Es gibt hier keine theologischen Gegenströmungen. Wir haben die Arbeit mit Kindern aufgebaut. Sie funktionierte gut, bis Corona anfing. Aktuell erarbeiten wir ein neues Konzept. Die Vollendung gebe ich in neue Hände.An welche Aktionen erinnern Sie sich gern?An die Familiengottesdienste. Sie sind immer gut besucht. Manche Familien sind mit mir gross geworden. Gerne werde ich daran zurückdenken, dass die Kirchbürgerinnen und -bürger stets offen für meine oft spontanen und originellen Ideen waren. Ich denke zum Beispiel an «Tee und Theologie bei Toni». Die Menschen trafen sich auf dem Rathausplatz, um mit mir über Gott und die Welt zu reden.Welche Baustellen gibt es in der Kirchgemeinde?Es täte ihr gut, könnte sie mehr Freiwillige motivieren. Es ist eine stetige Aufgabe, einen Stamm auszubauen, damit die Aktiven nicht ausbrennen. Die Kirchenvorsteherschaft will sich erneuern und sucht neue Mitglieder. In welche Richtung dies führen soll, ist für mich offen. Ich werde den Prozess nicht mehr mitgestalten. Weiter fände ich es richtig, die Digitalisierung voranzutreiben und zum Beispiel mehr Gottesdienste on-line zu übertragen. Es ist besser, das vertraute Gesicht der Ortspfarrerin oder des Ortspfarrers auf einem Computerbildschirm zu sehen, als ein fremdes in einem Fernsehgottesdienst. Eine solche Erweiterung der Reichweite trüge dazu bei, dass die Kirche in der Gesellschaft sichtbar bleibt. Bei der Übertragung des Fasnachtsgottesdienstes mit den Guggesuusern zählten wir etwa 500 Userinnen und User.Sie sind verheiratet, treten aber in der Gemeinde selten als Ehepaar auf.Ich übe meinen Beruf – wie die meisten anderen Menschen – unabhängig vom Ehepartner aus, weiss ihn aber doch an meiner Seite. Das entspricht uns als Paar. Ich bin die Pfarrerin und es gibt jemanden, mit dem ich verheiratet bin. Die ursprüngliche Rollenverteilung, bei der Partner oder Partnerin der angestellten Pfarrperson selbstverständlich und ehrenamtlich mitarbeiten, funktioniert nicht mehr.Sehen Sie sich als ein Vorbild für die Rollenverteilung an?Ja, junge Menschen sehen an meinem Beispiel, dass eine Vielfalt möglich ist. Zwei katholisch aufgewachsene Mädchen beobachteten mich einmal, als ich im Garten Wäsche aufhängte. Sie waren davon angetan, dass ich die Hausarbeit genau wie ihre Mütter erledige und trotzdem im Gottesdienst eine führende Aufgabe habe.Was sollte die Leitung der Kantonalkirche nach Ihrer Meinung verbessern?Sie nimmt ihren Leitspruch: «Nahe bei Gott – nahe bei den Menschen» ernst und versucht, innovativ zu sein. Diskutiert werden sollte meiner Meinung nach, ob die Zusammenarbeit von Kirchenvorsteherschaften und Pfarrpersonen professionalisiert werden sollte. Die Frage ist, ob in den Kirchgemeinden Geschäftsführende eingestellt werden sollten. All die administrativen Anforderungen können kaum mehr von Ehrenamtlichen erfüllt werden.Mit ihrem Wegzug aus dem Rheintal geben Sie auch das Amt der Dekanin ab. Wie geht es dort weiter?Die Zeit als Dekanin habe ich als sehr kurz empfunden. Erst recht, da man sich in der Pandemie nicht treffen konnte. Bliebe ich im Kirchenkreis Rheintal, würde ich jetzt durchstarten. Bis es eine Nachfolge gibt, wird Vizedekan Lars Altenhölscher, Pfarrer in Buchs, meine Aufgaben übernehmen. Die Suche nach Kandidierenden läuft bereits. Das Pfarrkapitel wird in der Wintersynode einen Wahlvorschlag unterbreiten.Welches Fazit ziehen Sie im Dekanat?Im Rheintal sind die reformierten Pfarrämter in Rheineck und Sennwald im Moment nicht besetzt. Bald kommt Berneck hinzu. Ausserdem fehlt mir eine Abschiedskultur. Neue Pfarrpersonen installieren wir, ein Abschiedsritual pflegen wir aber nicht. Ich habe als Dekanin die Chancen wahrgenommen und am Abschied von Christian Wermbter in Rheineck sowie Silke und Urs Dohrmann in Widnau teilgenommen. Den beiden Kirchgemeinden Rheineck und St. Margrethen wünsche ich, dass der Prozess um den möglichen Zusammenschluss für alle Beteiligten gut verläuft.HinweisDen Abschiedsgottesdienst feiert die Kirchgemeinde am Sonntag, 18. September, 10 Uhr, in der evangelischen Kirche, Berneck. Anschliessend ist ein Empfang.

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