13.08.2019

Eine vergessene Institution

In Rehetobel gab es bis ins Jahr 1958 eine Sturmwacht, die jeweils in stark windigen Nächten aufgeboten wurde.

Von Arthur Sturzenegger
aktualisiert am 03.11.2022
Dass Rehetobel als Dorf mit viel Sonnenschein auch den Winden stark ausgesetzt ist, wurde durch die Dorfbrände 1796 und 1890 schmerzlich bewusst. In beiden Fällen waren es heftige Winde, die ausbrechendes Feuer zur Katastrophe ausdehnten. Schon nach dem ersten Brand findet man in einem von den helvetischen Behörden angeordneten Katasterverzeichnis für den Dorfbezirk Hof die Erwähnung einer «Feuerschau».Die Brandkatastrophe von Herisau 1812 verstärkte die Initiative nach brandverhindernden Vorschriften, die von den Gemeindevorsteherschaften ab den Kanzeln zu verlesen waren. 1813 wurden in Rehetobel die Bäcker verpflichtet, den Kamin vierteljährlich zu reinigen, 1823 wurden die Hausbesitzer angewiesen, einen Feuerlöschkübel zu beschaffen und 1828 wurden die Bäcker verpflichtet, auf dem Schindeldach einen Mantel von Ziegeln um den Kamin zu erstellen. 1832 wurde «von den Räten erkannt», es sei in windigen Nächten und an Jahrmärkten eine «Rondenwacht» in das der Feuerschau zugewiesene Gebiet durchzuführen.Nach dem Brand von Heiden 1838 wurde auf Appenzeller Landesebene neben der Einführung einer Gebäudeassekuranz dem Brandschutz erhöhte Bedeutung beigemessen. In Rehetobel wurden unter anderem die Feuerschau auf die Gebiete Holdern, Buechschwendi und Sägholz erweitert und zwei Nachtwächter gewählt. Diese bald als zu teuer empfundene Lösung wurde nach zwei Jahren durch die günstigere «Rondenwacht bei windigen Nächten» ersetzt, zumal die «Säghölzler» aus Kostengründen aus der Feuerschau auszutreten wünschten.Diese «Sturmwacht» wurde von der sich immer besser organisierenden Feuerwehr bis Mitte des letzten Jahrhunderts durchgeführt. Die Feuerwehrmänner patrouillierten bei starkem Sturm auf zwei Touren: Sonder – Neuschwendihöhe – Holderen – Buechschwendi und Fernsicht – Häusern – Oberdorf – Neugasse. Von 22 Uhr bis 5 Uhr war jeder Aufgebotene für je 70 Minuten im Einsatz, für die übrige Zeit konnte er sich im Turnhallengebäude, wo auch der Sturmwachtkommandant in Bereitschaft war, auf einer Matratze zur Ruhe legen, da der folgende Tag wieder zur normalen Arbeit an der Stickmaschine oder am Webstuhl rief.Die Einteilung der Patrouilleure erfolgte bis in die Dreissigerjahre anteilmässig nach Zugehörigkeit zum Rettungskorps und den Löschzügen sowie – seit 1937 – zur Motorspritze. Mit der Einführung der Einheitsfeuerwehr 1950 wurde die ganze Mannschaft – ausser jener der Motorspritze – in Rettung und Löschen ausgebildet. Die «Sturmwacht» wurde reduziert auf Kommandant und fünf Patrouilleure. Kommandant war der Fourier.So wurde die Institution bis zur Auflösung erhalten. Moderne Kommunikationsmittel ermöglichten eine rasche Alarmierung und machten die Wacht überflüssig. Ohne es zu wissen, war der Verfasser dieses Textes Kommandant beim letzten Aufgebot im 1958, in der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember. Der orkanartige Sturm war so heftig, dass sich die Patrouilleure auf der Fernsehkuppe nicht aufrecht bewegen konnten.

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