30.11.2018

Eine Strasse, die es gar nicht gibt

Beim Altstätter Bahnhof hängt ein grossformatiger Stadtplan. Er ist ein Beweis dafür, dass etwas hanebüchen falsch sein und trotzdem jahrelang Bestand haben kann.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererEinheimische haben kaum einen Grund, sich den Stadtplan genauer anzusehen. Sie kennen den Ort. Also nehmen sie die Karte nur am Rande wahr.Vertieft sich trotzdem jemand in das Strassennetz, stellt er Erstaunliches fest: Die Feldwiesenstrasse ist auf dem Plan nicht bei der Kriessernstrasse zu Ende. Vielmehr quert sie (in dreistem Widerspruch zur Wirklichkeit) die Kriessernstrasse, dann die Bahnhofstrasse und sodann auch noch die Alte Landstrasse, bis sie in die Oberrieterstrasse mündet.Die wichtige, viel befahrene Feldwiesenstrasse ist auf dem Plan mehrere hundert Meter zu lang. Ausserdem ist die heute bestehende Fussgängerunterführung am südlichen Ende des Bahnhofsareals auf dem Plan eine mit Autos befahrbare Strasse.Nie hat jemand protestiertWieso, fragt man sich, hängt beim Bahnhof neuerdings ein Stadtplan, der von der Wirklichkeit so deutlich abweicht?Die Antwort verblüfft: Der Plan sei überhaupt nicht neu. Er hänge seit dem Jahr 2010.Der Einwand, das werde nur ungern geglaubt, erweist sich als unberechtigt. Die Auskunft der Stadt stimmt.Tatsächlich prangt auf Altstättens Bahnhofsgelände seit acht Jahren ein Stadtplan, der krass falsch ist. Aber nie hat jemand protestiert. Die ausführliche Erklärung aus dem Rathaus lautet so: Die Stadt hat im Jahr 2010 für die Anbringung von drei Situationsplänen (auf dem Bahnhofsgelände, beim Sportplatz Gesa sowie beim damaligen Rathaus) die grafischen Plangrundlagen eines privaten Unternehmens verwendet und in Zusammenarbeit mit Hotels bzw. Restaurants einen Situationsplan erstellt. Ein Unternehmen hat schliesslich die grafische Gestaltung (inkl. Legenden, Verzeichnisse etc.) vorgenommen und die Pläne gedruckt. Mit Inseraten des Gewerbes hat das Unternehmen die Aufwendungen finanziert.Bei der Verlängerung der Feldwiesenstrasse sei ein Freihaltekorridor fälschlicherweise als Strasse verstanden worden. Auch Fuss- bzw. Velowege seien so allenfalls als Strassen eingezeichnet worden, schreibt Ruedi Mattle.Der Stadtpräsident fügt hinzu, man werde die Karte entfernen. Dies wird schon darum keinen Verlust bedeuten, weil gegenüber dem Restaurant Bahnhof eine aktuelle Karte hängt.Fiktion kann Realität werdenOb nach der Entfernung der falschen Karte ein neuer Plan gemacht wird, andere Informationen angebracht werden oder die Stadt auf die Nutzung des Schaukastens verzichtet, ist noch offen. Klar ist allerdings (wie Mattle richtig schreibt), dass Stadtpläne laufend veralten, was «in der Natur der Sache liegt». – Mit Ausnahme der falschen Karte beim Altstätter Bahnhof!Diese Karte hat die Chance, dass sie erst irgendwann in ferner Zukunft richtig wird.Denn die Idee, die auf dem Stadtplan viel zu lange Strasse wirklich zu verlängern, ist nicht aus der Luft gegriffen.Sollte das grosse Gebiet zwischen Bahnhofstrasse und Alter Landstrasse entwickelt und die Feldwiesenstrasse in den nächsten Jahrzehnten bis zur Oberrieterstrasse verlängert werden, liesse sich (mit Bezug auf die falsche Karte) der folgende Aphorismus leidenschaftlich bestätigen: «Die Fiktion von gestern gehört zur Realität von heute.»

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