09.08.2021

Eine Sitzgelegenheit aus Pilzen

Valentin Küng aus Wolfhalden setzt auf Nachhaltigkeit bei der Möbelherstellung: Er tüftelt an einem Öko-Stuhl.

Von Claudio Weder
aktualisiert am 03.11.2022
Für seine Bachelorarbeit an der Hochschule Luzern hatte Valentin Küng aus Wolfhalden eine aussergewöhnliche Idee. Der Objektdesign-Student wollte einen zukunftsfähigen Stuhl herstellen – aber es sollte natürlich kein gewöhnlicher aus Holz oder gar Plastik sein. Über ein Jahr lang tüftelte Küng an einer ökologischeren Alternative: Er wollte einen Stuhl herstellen, dessen Bestandteile vollständig kompostierbar sind.Inspiration fand Küng im Nachhaltigkeitsunterricht an seiner Schule: «Wir haben uns auf Youtube einen Vortrag des deutschen Chemikers Michael Braungart angeschaut. Sein Label ‹Cradle to Cradle›, mit dem er das Ziel verfolgt, alle Güter nach deren Gebrauch wieder dem biologischen Kreislauf zuzuführen, hat mir imponiert», erzählt Küng. Und so kam er auf die Idee, ein Produkt zu designen, das nach dessen Gebrauch nicht etwa in der Kehrichtverbrennungsanlage landet, sondern der Natur zurückgegeben werden kann. Denn: «Es ist höchste Zeit, Produkte in Kreisläufe zu integrieren und so die begrenzten Ressourcen auf unserer Erde immer wieder neu zu verwenden.» Dass es ein Stuhl werden sollte, ist für den gelernten Schreiner irgendwie naheliegend gewesen.Zusammenarbeit mit Basler Start-upFür die Herstellung setzte Küng auf ein Baumaterial, das als solches noch relativ jung ist: Myzel, die Wurzelstruktur von Pilzen. «Erst seit etwa zehn Jahren nutzt man es, um damit Holzspäne oder Ähnliches verwachsen zu lassen», sagt Küng. Dem Material werde eine grosse Zukunft nachgesagt. Es habe viele Vorteile, meint Küng: Zum einen brauche die Zucht nicht viel Energie und könne lokal und unabhängig von äusseren Einflüssen produziert werden. Zum anderen sei es sehr leicht, weder giftig noch gesundheitsschädigend.Und auch das schnelle Wachstum sei ein Vorteil: «Ein Kubikdezimeter Myzel braucht etwa vier Tage, um zu wachsen. Vergleicht man die Wachstumszeit mit jener von dem ähnlichen Werkstoff Holz, ist der Unterschied enorm.» Küng glaubt an das Potenzial dieses Werkstoffs. Myzel könnte beispielsweise auch als Isolationsmaterial auf dem Bau, zur Filterung des Wassers oder in der Modebranche als Lederersatz eingesetzt werden.Pilz funktioniert wie LeimWeil vieles aber noch unerforscht sei, war Küng bei der Herstellung auf Hilfe angewiesen. «Ich hatte keine Ahnung, ob mein Plan aufgehen wird.» Bei seiner Recherche stiess er auf das Basler Start-up Mycrobez. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, aus Agrarabfällen und Pilzen eine umweltfreundliche Alternative zu Styropor zu produzieren. «Mit dem jungen Team verstand ich mich auf Anhieb gut und es ergab sich eine fruchtbare Zusammenarbeit. Gemeinsam haben wir beschlossen, das Myzel weiterzuentwickeln, damit es auch für die Möbelproduktion verwendbar wird.»Die Mycrobez übernahm die Aufzucht des Pilzes. Als Substrat dienten Agrarabfälle, namentlich Hanffasern und Holzschnitzel, welche die Jungunternehmer gratis von Landwirten beziehen können. «Diese Agrarabfälle bilden den Nährboden für den Pilz», erklärt Küng. Beginnt dieser zu wachsen, erfüllt er eine leimähnliche Funktion: «Der Pilz knabbert das Material an und verbindet es.»Damit das gezüchtete Material am Ende die nötige Festigkeit erhält, muss es nach der Züchtung unter Hitze gepresst werden. Dies erledigte Küng in der Werkstatt seiner Schule. Die Hitze brauche es, um den Pilz abzutöten. Nach der Pressung bekommt das Material eine holzähnliche Konsistenz, vergleichbar mit einer Spanplatte. Im Anschluss wird es getrocknet, damit es nochmals stabiler wird. Doch das mit der Pressung hat nicht ganz so funktioniert, wie es sich Küng vorgestellt hatte. Er schweisste mehrere Pressformen in unterschiedlichen Grössen. Doch nur beim kleinsten Format erhielt das Material letztlich die nötige Kompaktheit und Stabilität. Küng vermutet, dass es am zu niedrigen Pressdruck gelegen hat. «Die Presse, die wir in der Schule hatten, war zu wenig leistungsstark.»Zweiter Versuch startet im FrühlingDen Stuhl konnte Valentin Küng also nicht ganz fertigstellen. Um weitere Formen aus Myzel zu züchten, sei am Ende keine Zeit mehr übrig geblieben. «Ich war schon ein bisschen enttäuscht, als ich merkte, dass ich den Stuhl nicht zu Ende bringen kann.» In einem letzten Schritt wäre es darum gegangen, die Sitzschale zu schleifen und zu ölen, die Beine aus Eschenholz herzustellen und mit Hilfe eines Holzgewindes in die Sitzschale zu schrauben. Doch der 25-Jährige lässt nicht locker. Er glaubt weiterhin an das Myzel als Baumaterial. Mit dem Studium ist er nun fertig. Als Nächstes will er auf Reisen gehen. Im Winter wird er dann eine Saison lang als Snowboardlehrer in Laax verbringen, bevor er sich wieder der Pilzzucht widmet: Im Frühling will er zusammen mit dem Team von Mycrobez seine Forschungsarbeiten fortsetzen. Eines ist klar: Die Idee des kompostierbaren Stuhls wird Valentin Küng so schnell nicht verwerfen. «Ich weiss ja nun, dass es funktionieren kann.»

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