Andrea KoblerEine strahlende, junge Frau öffnet die Tür. In der Hand hält sie sechs Medaillen von Schweizer Meisterschaften, die sie in den letzten vier Jahren gewonnen hat. Noch fehlt Gold. Doch Eva Ulmann hat sich entschieden, dieses hohe Ziel nicht mehr anzuvisieren. Ihre Gesundheit ist in den Vordergrund gerückt. So tritt sie mit erst 18 Jahren nicht ganz freiwillig vom Spitzensport zurück. Die Leichtathletin des STV Oberriet-Eichenwies ist unheilbar krank.Alles begann mit Knieschmerzen im Trainingslager im Juni 2018. Es folgten geschwollene, steife Finger, Morgensteifheit. «War ich am Frühstückstisch, war ich total verschwitzt und schon wieder so müde, dass ich mir gleich wieder das Bett herbeisehnte», erinnert sich die Montlingerin an die ersten Symptome. Davor, sagt ihre Mutter Susann, habe sie ihre Tochter jeweils wachrütteln müssen.Jeder Tag, jeder Schritt war für Eva Ulmann ein Kampf.Zwei Krankheiten auf einen SchlagAm 26. Juni 2018 bestritt Eva Ulmann in Balgach ihren letzten Wettkampf. Ihr gelang eine persönliche Bestleistung im Diskuswerfen und der Sieg im Kugelstossen. «Dies war vor allem eine mentale Leistung, gelang es mir doch, die Schmerzen im Wettkampf wegzustecken», sagt Eva Ulmann.Die Sportlerin legte eine Trainingspause ein und hoffte, die Schmerzen wieder los zu werden. Der Hausarzt verwies sie an den Rheumatologen, dieser verwies sie ans Kantonsspital. Schmerzmittel und Kortison konnten die Schmerzen nur wenig eindämmen. Im September erhielt sie die Diagnose Juvenile idiopathische Polyarthritis. Das ist eine schwere Rheumaerkrankung, wie sie in der Schweiz eine von tausend Personen durchmachen muss. Als Nebenwirkung leidet Eva Ulmann am chronischen Fatigue-Syndrom. An dieser Krankheit leiden oft auch Krebspatienten als Folgekrankheit von Chemo- und Strahlentherapien. Eva Ulmann ermüdet schnell, egal wie viele Stunden sie schläft.Das Schwierige an der Krankheit ist, dass man sie der Person nicht ansieht. Schnell wurde die junge Frau als faul, empfindlich, mit der Lebenssituation überfordert, verurteilt. «Für mich, die zuvor soviel Power hatte, war dies unglaublich schwierig», sagt sie.Ausbildung trotz Schmerzen und MüdigkeitEin halbes Jahr lebte Eva Ulmann bereits mit Schmerzen, als sie während eines vierwöchigen stationären Aufenthalts im Januar 2019 in der Psychosomatik des Kinderspitals St. Gallen lernte, mit diesen umzugehen und sie zu vergessen. «Diese Skills zu erlernen gelang mir schnell und gut. Bereits nach vier Tagen konnte ich die Schmerztabletten absetzen. Sicher hat mir dabei der Kampfwille geholfen, den ich im Sport erlernte», so Eva Ulmann.Der Weg ist hart. Sie ist froh, in der Familie von Papa Patrick, Mama Susann und Bruder Fabian zu 100 Prozent unterstützt und begleitet zu werden. Trotz der Schmerzen, der Müdigkeit sowie Physio- und Ergotherapie versucht die Zeichnerin Fachrichtung Architektur ihre Ausbildung möglichst wenig zu vernachlässigen. Sie besucht die Berufsschule und versucht, diese möglichst gut voranzutreiben. Täglich steht sie um 7 Uhr auf und geht, wenn immer möglich, um 8 Uhr zur Arbeit. Dort bleibt sie drei bis vier Stunden.«Es gab aber auch eine Zeit, da war ich nur beim Znüni im Betrieb», gibt sie offen zu. Die schulischen Leistungen sind gut. Ob Eva Ulmann die Lehrabschlussprüfung in rund einem Jahr absolvieren oder die Lehre um ein Jahr verlängern wird, wird kurzfristig entschieden. Im Moment wäre es eine zu grosse Herausforderung, eine dreitägige Prüfung zu absolvieren.Kugelstösserin ohne KrafttrainingObwohl ihr die Ärzte bereits einen Tag nach der Diagnose vom Spitzensport abrieten, versuchte Eva Ulmann immer wieder, an die Wettkampfstätten zurückzukehren. Sie konnte kaum trainieren, doch die Technik hatte sie nicht verlernt.Sie stand am Gesa-Cup im Einsatz, gewann letzten Sommer in Basel gar einen Wettkampf mit der guten Weite von 12,96 Metern. Ende 2019 nahm sie nochmals einen Anlauf, trainierte zu Hause auf dem Rudergerät, machte Übungen für Gleichgewicht und Rumpf und stiess die Kugel alle zwei Wochen. Sie wechselte den Arzt und erhielt neben vielen täglichen Medikamenten ein neues Medikament – monatlich per Infusion.Die Schmerzen hat sie seither gut im Griff, die Müdigkeit aber ist noch immer sehr stark. Der Alltag ist somit sehr eingeschränkt, sie ist immer noch sehr schnell am Anschlag. Dennoch bereitete sie sich noch einmal auf eine Schweizer Meisterschaft vor. «Ich war über all die Monate optimistisch und dachte, das wird schon wieder. Doch schon eine Woche nachdem ich das Training wieder aufgenommen hatte, war klar: Es werden meine letzten nationalen Titelkämpfe sein. Der Körper macht nicht mehr mit», erzählt sie. Und ergänzt mit Galgenhumor: «Hast du schon mal eine Kugelstösserin gesehen, die kein Krafttraining machen darf? Im Oberkörper war ich noch einigermassen fit, darunter aber habe ich schwabbelige Beine.»Das letzte sportliche Ziel hat sie erreichtEva Ulmann wäre aber nicht sie selber, hätte sie sich nicht nochmals ein hohes Ziel gesteckt.Drei Wochen vor der Schweizer Meisterschaft sagte sie zu ihrer langjährigen Trainerin Manuela Loher: «Ich gebe an der Schweizer Meisterschaft meinen Rücktritt. Davor gewinne ich noch eine Medaille.» So war es dann auch. Eva Ulmann gewann mit der Weite von 11,90 Metern Bronze und zeigte Emotionen. Beim letzten Wurf kullerten die Tränen. Doch dann wischte sie diese weg und feierte ein grosses Fest. Dabei dachte sie vor allem an die Menschen, Trainer, Physiotherapeuten, die sie über all die Jahre unterstützten: «Vielen Dank an Manuela Loher, Roger Matt, Lea Nadig und Natalie Fritz.»Eva Ulmanns Palmarès lässt sich sehen. Ihre Karriere begann als Zweijährige am Berglilauf in Montlingen, den sie damals mit der neun Jahre älteren Kugelstösserin Lea Herrsche bestritt. Als Siebenjährige gewann Eva Ulmann den ersten Jugitag, sieben weitere folgten. 2011 stand sie am Rhylauf zuoberst auf dem Podest. Zweimal stand sie im Schweizer Final des UBS-Kids-Cup im Zürcher Letzigrund, sie feierte Erfolge an SGALV-Meisterschaften, war Teammitglied an Staffelmeisterschaften und im Ostschweizer Kader.2016 feierte sie ihr schönstes Erlebnis: Silber an der Schweizer Meisterschaft im Kugelstossen U 16. Es folgten weitere fünf Medaillen an Schweizer Meisterschaften. 2017 gewann sie Indoor-Silber im Kugelstossen U 16 und Bronze im Hochsprung U 16. Auch Outdoor holte sie in der Kategorie Kugel U 16 Silber. Ein Jahr später holte sie in der Halle mit der Kugel U 18 Bronze – und schliesslich Bronze Kugel U 20 an der Indoor-SM 2020.Die erste Schweizer Meisterschaft mit persönlicher Bestleistung im Kugelstossen und dem vierten Rang im Hochsprung sei ein Highlight gewesen. Auch die Tatsache, dass sie sich stetig steigern konnte: «Doch noch schöner als die sportlichen Erfolge war die Freude der jungen Athletinnen und Athleten des STV Oberriet-Eichenweis, wenn sie mit mir trainieren durften.»Keine Kinoabende, aber Lichtblicke Eva Ulmann hofft nun, die Müdigkeit weiter bekämpfen zu können. Der Fokus gehört der Ausbildung. «Ich danke dem Team von 4D Holzarchitektur für das Verständnis und die Zuversicht, dass wir gemeinsam bis ins Ziel gehen.»Ein Kinoabend mit Freundinnen unter der Woche oder ein Tag Skifahren funktioniert nicht mehr. Dennoch sieht sie Lichtblicke. So freut sie sich, bald die Autoprüfung machen zu können. Und sie hat schon Ideen für ihre zukünftige Freizeitgestaltung: «Vielleicht nehme ich Schwyzerörgeli-Unterricht oder kaufe mir eine Kamera und lerne fotografieren.» Sportarten mit Stossbewegungen oder auch Joggen sollte sie nicht mehr betreiben.Doch möchte sie im Verein bleiben, zwischendurch ein Training absolvieren und in der kommenden Saison ihren Bruder Fabian und Freund Andrin an Schwingfeste begleiten: «Das tut mir gut, kann ich doch in solchen Momenten meine Krankheit vergessen.»