15.04.2021

Eine künstliche Insel für lachende Vögel

Es ist kein verspäteter Aprilscherz: In einem Naturschutzgebiet mitten im Rheintal sollen bald Möwen brüten.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Im Weiher des Naturschutzgebietes Alte Ziegelei schwimmt seit Kurzem ein mit Kies bedecktes Floss. Darauf sollen Möwen ihren Nachwuchs ausbrüten und grossziehen. Das ist kein verspäteter Aprilscherz, sondern durchaus ernst gemeint. Denn zum Lebensraum der Lachmöwe, für die das Brutfloss gedacht ist, gehören nicht nur Feuchtgebiete an Seen wie am nahen Bodensee. Auch das rückliegende Kulturland gehört dazu, weswegen man auch immer wieder ganze Schwärme im Riet und auf Wiesen oder Äckern unter anderem bei Oberriet und Altstätten beobachten kann. Für Roger Dietsche ist die Lachmöwe deswegen – auch – ein Rietvogel.Dietsche ist einer der Verantwortlichen für das aus privater Initiative entstandene, aber von einer grossen Zahl Institutionen, Firmen, Bauern und Körperschaften breit unterstützte Artenförderungsprojekt in der Gemeinde Oberriet. Es startete vor zwei Jahren und will eine ganze Reihe selten gewordener Vogelarten fördern. Die Lachmöwe war bislang nicht Bestandteil des Programms. Die Art wurde im Sinne eines Versuchs dazu genommen. Die meisten sind nur den Winter über daAnstoss gab ein Artikel in der Fachzeitschrift Ornis, die von der Naturschutzorganisation Bird­Life (Schweizer Vogelschutz) herausgegeben wird. Darin wird von Erfahrungen mit künstlichen Bruthilfen berichtet, die man den Lachmöwen am oberen Zürichsee und im Neeracherried zwischen Dielsdorf und Bülach zur Verfügung gestellt hat. Und es wird darin darauf hingewiesen, dass die Lachmöwe weniger häufig ist, als man gemeinhin denken mag. Das liegt daran, dass zwar viele dieser Vögel zu beobachten sind – wie eben auch die Schwärme im Rheintal –, dass dies aber meist Wintergäste aus dem Norden sind. In unserer Region gibt es zwar eine stattliche Kolonie im Rheindelta auf Vorarlberger Boden. Über die Schweiz ge­sehen, gibt es heute aber laut dem aktuellen Brutvogelatlas der Schweizerischen Vogelwarte Sempach nur noch um die 800 Brutpaare (gegenüber 3800 um das Jahr 1980 herum, als der Bestand einen Höchststand erreicht hatte). Die Lachmöwe gilt darum mittlerweile als stark gefährdet und als Prioritätsart für die Artenförderung. Der Rückgang hat wohl verschiedene Gründe. «Ornis» nennt ein beschränktes Nistplatzangebot, ein ungenügendes Nahrungsangebot in der Nähe der Brutkolonien, die deutlich grössere Mittelmeermöwe, die ihr zunehmend die Nistplätze streitig macht, sowie Fressfeinde an Land, in der Luft und im Wasser: Füchse, Wildschweine, Uhus, Welse und weitere mehr.«Ornis» bezeichnet Sumpflandschaften als ursprünglichen Lebensraum der Lachmöwe. Gelinge es, wie im Neeracherried neue Kolonien aufzubauen, so würde dies wesentlich helfen, die Art zu stützen, die an manchen Seen zunehmend unter der Brutkonkurrenz der Mittelmeermöwe leide.Gerade mit Plattformen und Flossen habe man erfreuliche Erfahrungen gemacht, hält wiederum der Brutvogelatlas fest. Der Bruterfolg der Vögel sei hier wesentlich besser als auf Kiesinseln, auf denen diese Vögel natürlicherweise brüten.Diese Berichte lassen Roger Dietsche hoffen, dass sich bald auch im Naturschutzgebiet an der Strasse zum Industriegebiet Felbenmaadbüchel hinaus Lachmöwen oder vielleicht auch andere Kiesbrüter wie die Flussseeschwalbe einfinden. Für möglich hält er dies durchaus: «Aus Sicht eines Kiesbrüters, der übers Rheintal fliegt, findet sich sonst so gut wie keine andere Nistgelegenheit», meint er.Gebaut anstelle des KTV-FasnachtswagensGebaut hat Dietsche das Floss zusammen mit seinen Töchtern Jana und Alisha. Andere Jahre, wenn es auf die Fasnacht zu geht, hilft die Familie jeweils beim Bau des Fasnachtswagens des KTV Kriessern. Weil die Fasnacht dieses Jahr ausfiel, baute sie stattdessen aus Sägerestholz und gebrauchten Kunststofffässern das aus vier Teilflossen bestehende und zusammengesetzt 25 Quadratmeter grosse Brutfloss für die Vögel. Beim Einwassern Mitte März wurde es mit Kies eingedeckt und mit Betonhalbschalen und Rheinholz möbliert. Die ohnehin schon naturschutzinteressierte Familie sieht ihre Arbeit als persönlichen Beitrag für den Natur- und Artenschutz in der Gemeinde.Das Naturschutzgebiet Alte Ziegelei ist zusammen mit dem nur wenige Hundert Meter entfernt gelegenen Naturschutz­gebiet Hilpert als Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung klassiert, ist aber landschaftlich offener, nicht von Bäumen umgeben, und deswegen für die Zielvogelarten wohl geeigneter als das Gebiet Hilpert, denkt Roger Dietsche. Das Gebiet Alte Ziegelei gehört (neben weiteren solchen Flächen in der Gemeinde) der Schweizerischen Stiftung für Vogelschutzgebiete. Chantal Le Marié, Geschäftsführerin ad interim, hat für das Experiment gerne Hand geboten. Sie ist gespannt, ob es erfolgreich sein wird und lädt Interessierte ein, die Entwicklung mitzuverfolgen. Dabei sollte man aber nicht in das Naturschutzgebiet hineingehen – nur ein paar Schritte abseits der Strasse gibt es aber ein Holzhüttli, aus dem man durch eine Aussichtsluke Vögel und andere Tiere gut beobachten kann, ohne sie zu stören.Hinweis: Mehr zum Artenförderungsprojekt findet man hier. Mehr zum Engagement der Schweizerischen Stiftung für Vogelschutzgebiete im Rheintal und zum Naturschutzgebiet Alte Ziege­lei findet man unter anderem  im SSVG-Bulletin vom Frühling 2020.Eine Lachmöwe im Prachtkleid. (Bild: B. Jechow / pixelio.de)Ihr Ruf ist wie ein KichernDie Lachmöwe hat ihren Namen von ihrem kichernden, lachenden Ruf. Sie ist 34 bis 40 cm lang und hat eine Flügelspannweite von 85 cm bis zu einem Meter. Im Sommer trägt sie ein Prachtkleid mit dunkelbraunem Kopfgefieder mit weissem Augenring – im Winter hingegen sind lediglich die Augenregion und der Ohrbereich diffus schwärzlich gefärbt. Umso mehr fallen dann der rote Schnabel und die roten Beine auf. Der Rücken ist grau; die Flügel haben einen weissen Vorderrand und eine schwarze Spitze, das übrige Gefieder ist weiss. Mehr z. B. auf www.vogelwarte.ch oder de.wikipedia.org.

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