15.07.2022

Eine Bühne wie ein Blatt Papier

Am 20. Juli beginnen die Bregenzer Festspiele mit Puccinis Oper «Madame Butterfly» auf der Seebühne.

Von Rolf App
aktualisiert am 02.11.2022
Rolf App«Ich renne hinaus und wecke die Mutter. Dann schauen wir zusammen die Flagge an. Dann geh ich zu Suzuki. Dann singt sie. Dann kommt die Mutter mit der Flagge.» Riku Seewald weiss schon ganz präzis, was er vom 20. Juli an auf der Bregenzer Seebühne zu tun hat. Als Kind der Geisha Cio-Cio-San wird der Sechsjährige eine wichtige Rolle in Giacomo Puccinis Oper «Madame Butterfly» (siehe Box) spielen.Regisseur Andreas Homoki, der Intendant des Opernhauses Zürich, sitzt daneben und schaut ihn mit väterlicher Zufriedenheit an. Flankiert von Barno Ismatullaeva, der Premieren-Cio-Cio-San, und von Dirigent Enrique Mazzola erzählt Homoki am Pressetag der diesjährigen Bregenzer Festspiele, was er auf der von Michael Levine entwickelten Bühne alles vorhat.Es fehlt noch viel am grossen GanzenAn der Probe kann man aber erst in Ansätzen erkennen, wie diese «Madame Butterfly» sich anfühlen wird. Es fehlt die Abendstimmung am See, es fehlen die in die Farben der untergehenden Sonne getauchten Kostüme von Antony McDonald, und es fehlen die vielen Farben, die das Orchester mit Puccinis fernöstlich geprägter Musik hinzufügen wird. Denn die Wiener Symphoniker sind noch nicht da.Es fehlen auch die Videoprojektionen von Luke Halls, welche die mit zarten japanischen Zeichnungen überzogene Bühne zur Projektionsfläche machen. Jetzt aber liegt diese Bühne noch etwas blass vor uns, wuchtig und filigran zugleich: 23 Meter hoch, 33 Meter breit und an die 300 Tonnen schwer, soll die gegen aussen hin sich verjüngende, im oberen Teil von zwei Öffnungen durchbrochene und 1300 Quadratmeter grosse Bühnenfläche an ein Blatt Papier gemahnen, das jemand in die Hand genommen, zerknüllt und dann ins Wasser geworfen hat.Es soll sich in dieser Bühne spiegeln, was Cio-Cio-San blüht, die, wie Andreas Homoki betont, «eine der grossen Tragödienfiguren der Operngeschichte ist». Er sieht Puccinis Oper sehr modern – «als ein ganz stark emanzipatorisches Stück. Denn es erzählt von einer jungen Frau, die ausbrechen will aus ihrer Welt, in der sie sich nicht verwirklichen kann, und die sie festhält in Traditionen und Rollenvorstellungen.» Doch der amerikanische Marinesoldat Pinkerton, den Cio-Cio-San heiratet, entpuppt sich als ein Betrüger. Gut enden kann das ebenso wenig wie das, was drinnen im Festspielhaus die jungen Russen Vasily Barkhatov als Regisseur und Valentin Uryupin als Dirigent gerade vorbereiten. Kaum jemand kennt heute noch die Oper «Sibirien» von Umberto Giordano, obwohl sie, uraufgeführt an der Mailänder Scala in derselben Saison wie Puccinis «Madame Butterfly», mit ihrer heftigen Musikalität das Publikum anfangs weit stärker überzeugt hat.Nur in Russland gehört «Sibirien» zum Repertoire. Zum einen der Handlung wegen, die von der St. Petersburger Kurtisane Stephana handelt, die ihrer grossen Liebe Vassili ins Straflager nach Sibirien folgt. Und zum andern, weil Giordano geschickt eine im russischen Idiom verankerte Musik zum Ausgangspunkt seiner Vertonung gewählt hat. Und auch Barkhatov hat, wie Homoki, einen Weg gefunden, Stephanas Drama in unsere Zeit zu transportieren: Indem er in – mit dem Bühnengeschehen virtuos verknüpften – Filmsequenzen eine alte Frau auftreten lässt, die sich in den 1990er-Jahren auf den Weg macht, um Leben und Tod ihrer Vorfahren aufzuklären. Im tief verschneiten Sibirien findet sie die schmerzliche Wahrheit.HinweisBregenzer Festspiele: 20. Juli bis 21. August. Für «Madame Butterfly» sind bereits 90 Prozent der 189’000 Tickets verkauft.

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