02.09.2018

Eine Balgacherin auf der grössten Bühne der Welt

Nathanya Köhns Traum von den Olympischen Spielen platzt, als sie 18 Jahre alt ist. Jetzt steht die Balgacherin als Tänzerin im Halbfinal von «America’s Got Talent». Doch das grösste Talent der ehemaligen Spitzensportlerin ist ein anderes.

Von Maya Schmid-Egert
aktualisiert am 03.11.2022
Es ist Dienstagabend im Rheintal, als eine eilig geschriebene Whatsapp-Nachricht die Staaten erreicht: «Bist du in Los Angeles?» Um 20.11 Uhr folgt die Antwort: «Ja, genau! Mit Zurcaroh bei ‹America’s Got Talent›.» Es ist die Balgacherin Nathanya Köhn, die diese aussergewöhn­liche Nachricht bestätigt. Zusammen mit der Vorarlberger Akrobatik- und Tanzgruppe nimmt sie an der 13. Staffel der bekanntesten US-Talentshow teil. Bis zum Auftritt der Gruppe sind es noch sechs Stunden. Dann entscheidet sich, ob Zurcaroh es in den Halbfinal schafft.Als Preisgeld winken eine Million Dollar plus eine eigene Show in Las Vegas. Wo sonst die Oscars verliehen werden, im Dolby Theatre, findet in dieser Nacht der Viertelfinal der Talentshow statt. An den «Auditions», den Castings, wurde Zurcaroh von der Jury direkt in die Liveshows «gebuzzt». Seither spielt die Vorarlberger Presse verrückt. «Ländle-Akrobaten begeistern bei US-Show», schreiben die «Vorarlberger Nachrichten».Doch auf der anderen Seite des Rheins bleibt es bisher ruhig. Erstaunlich, hat doch die ehemalige Spitzensportlerin beste Kontakte zu Journalisten. So auch zur Autorin dieses Textes, die ebenfalls in Balgach lebt und nur zufällig vom Ereignis erfahren hat. Und irgendwie doch nicht erstaunlich: Denn Köhn ist nicht eine, die eben mal anklopft, um mit ihrem sportlichen Talent zu prahlen. Köhns grösstes Talent ist ihre Bescheidenheit.Heute arbeitet Köhn für LeicaKöhns Karriere beginnt in der Rhythmischen Gymnastik Berneck. Mit 13 Jahren trainiert sie in Magglingen, tritt 2009 ins Nationalkader ein. Dieses holt zwei WM-, ein EM-Diplom und eine Weltcup-Bronzemedaille. Mit der Rheintalerin erreicht das Kader 2011 erstmals in seiner Geschichte einen WM-Final, das als Olympiaticket gilt. Doch es gelingt nicht; der Traum von London 2012 platzt. Nathanya Köhn beendet ihre Spitzensportkarriere, studiert Kommunikation und arbeitet heute im Produktmarketing für das Heerbrugger Unternehmen Leica Geosystems.In einem «Annabelle»-Porträt sagt Köhn zur Olympianiederlage: «Ich bin sicher, dass Gott einen guten Grund dafür hatte.» Bescheidene Worte, die Köhn ­genau so meint. Die Sportlerin engagiert sich auch kirchlich. In einem Evangelisierungs-Musical tanzt Nathanya Köhn auf der Olma-Bühne, sammelt erste Erfahrungen in grossen Produktionen. Die Gruppe Zurcaroh hat sie vor zweieinhalb Jahren kennen gelernt. «Für eine Gala mit Bibelszenen wurde jemand für eine Schlangenfigur gesucht», erzählt Köhn. Eine Kollegin habe sie gefragt, seither ist sie dabei.Video der Gruppe holt 320 Millionen KlicksNoch sechs Stunden bis zum Auftritt, der über das Weiterkommen bei «America’s Got Talent» (AGT) entscheidet. Dann ist es so weit. Der Gründer und Trainer der Akrobatikgruppe, Peterson da Cruz Hora, spricht zu den Athletinnen und Athleten. Er sagt: «Tanzt so, als wäre es das letzte Mal.» Seine Worte lassen den ­Jetlag vergessen, geben Kraft. 48 Tänzerinnen und Tänzer gehen auf die Bühne. Model Tyra Banks moderiert sie fulminant an: «Das Zurcaroh-Video aus den Mai-Auditions ist mit 320 Millionen Aufrufen das meistgesehene in der AGT-Geschichte!»Himmlische Klänge legen sich über das blau ausgeleuchtete Bühnenbild, das Paradies. Eva gibt Adam aus einer für Zurcaroh typischen Hebelfigur heraus den verhängnisvollen Apfel. Applaus. Ein Knall, Buschtrommeln übernehmen das akustische Kommando. Nathanya Köhn spürt Adrenalin, taucht im Rhythmus ab, beginnt zu tanzen. Die Show beschleunigt, Kinder werden in die Luft gestemmt und geworfen. Am Schluss steigt ein Engel mit einem Kind aus dem um sich schlagenden Tanzpulk. Die Trommeln verebben, Köhn taucht wieder auf, realisiert, dass das Publikum laut schreit und klatscht. Standing Ovations.«Breathtaking», lobt Jurorin Mel B, «Amazing», sagt Superstar Heidi Klum strahlend. Dann spricht Simon Cowell. Den Juror und AGT-Gründer beschreibt die NZZ als den «Prototypen, den Chris von Rohr, Dieter Bohlen oder Roman Kilchsperger zu mimen versuchten». Nichts Nettes wird Cowell sagen, denkt man deshalb. Doch es kommt anders. Er schwärmt: «Das ist etwas vom Besten, was ich in der AGT-Geschichte je gesehen habe.» Köhn kann es kaum glauben, wie sie am frühen Mittwoch in eine Whats­app-Nachricht tippt.Nun heisst es warten. Diesmal entscheidet ein Zuschauer-Voting. Am Donnerstag vermeldet Zurcaroh auf Instagram: «Sprachlos. Wir haben keine Worte, wie dankbar wir sind!» Der Halbfinal kann kommen. Hinweis: Ausstrahlung des Halbfinals ist am frühen Mittwochmorgen, um 2 Uhr.Dieser Artikel ist in der «Ostschweiz am Sonntag» vom 2. September erschienen. Die ganze Ausgabe lesen Sie hier.

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